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Spiegelkind (German Edition)

Spiegelkind (German Edition)

Titel: Spiegelkind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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wanderte weiter. Er hatte mich nicht erkannt.
    »Wo ist meine Tochter? Was haben Sie mit ihr gemacht?«, fragte er und in diesem Moment machte Ksü einen Fehler und schaute mich ratlos an. Papa drehte sich wieder in meine Richtung und begann zu starren und in seinem Gesicht war jetzt klar zu lesen, dass er mich lieber tot als mit blauen Haaren gesehen hätte.
    »Papa«, flüsterte ich, schließlich war er genau das, mein Papa, den ich immer geliebt hatte, und es war absolut unnötig, mir wegen ein paar blauer Haare solche Blicke zuzuwerfen.
    Und dann ging eine Bewegung durch die Reihen der Polizisten und diesmal kapierte ich etwas schneller, dass sich die Dinge anders entwickelten, als Ivan erwartet hatte. Und zwar ganz anders.
    Es kam alles gleichzeitig: Die Polizisten stürmten auf uns zu, mein Vater versuchte, mich am Ärmel zu fassen, den ich ihm entriss, Ivan warf sich zwischen mich und die Horde und schrie irgendwelche Paragrafen-Ziffern, aber die Polizisten scherten sich nicht darum. Ich sah aus dem Augenwinkel, wie einer von ihnen Ivan einen Schlag mit dem Knüppel versetzte und Ivan in die Knie ging. Ksü schrie auf und dann war die Schlange auf ihrem Kopf plötzlich nicht mehr nur eine kunstvolle Zeichnung, sondern wuchs in eine weitere Dimension, wurde zu einer echten Schlange. Der Schlangenkörper schnellte nach vorn, das Zischen ging offenbar nicht nur mir unter die Haut, ich sah, wie die Polizisten zurückschraken, und dann bückte ich mich, glitt unter einem ausgestreckten Arm durch und rannte zurück ins Haus, gefolgt von Ksü, deren Schlange die Verfolger abwehrte.
    Wir stürmten die Küche, knallten die Tür zu, ich drehte den Schlüssel, der von innen steckte – jetzt würden sie die Tür nicht mehr so leicht aufkriegen, aber lange würde es sie nicht aufhalten. Ich sah mich um, irgendwas in meinem Gehirn schaltete die Gefühle aus, es blieb nur das Wissen, so eine ähnliche Situation schon mal erlebt zu haben … oder von ihr gehört … und dass das, was danach passiert war, unmittelbar mit mir zusammenhing. Mein Blick wanderte über die Küchenschränke, das Fenster, die Wand … das Quadrum.
    Und in diesem Moment begriff ich, wie sich meine Mutter gerettet hatte, als die Sonderbrigade gekommen war, um sie zu holen.
    Das Quadrum sah völlig unverdächtig aus, Leinwand, grobe Pinselstriche. Ich drehte Ksü mit dem Gesicht zu ihm, schubste sie mit aller Kraft in den Rahmen hinein, kniff die Augen zu und sprang hinterher.

Im Quadrum
    Wir lagen auf dem Boden, die Gesichter in der feuchten klumpigen Erde. Ein Grashalm kitzelte meine Nase. Ich hob den Kopf und schaute auf Ksü. Ihre Schlange hatte sich wieder in die Tätowierung zurückgezogen und sah harmlos aus.
    Ksü atmete schwer. Ich streckte die Hand aus, an der ein Blatt klebte, und schnickte es der Schlange auf den Kopf. Im Endeffekt traf ich ja nur Ksüs Schädel. Sie stöhnte, drehte sich um, starrte in den rötlichen Himmel, dessen Ausblick von den Baumkronen eingerahmt wurde, und fragte heiser: »Was?«
    Ich lächelte, wahrscheinlich sah ich gerade ziemlich blöd aus, so fühlte ich mich auch. Ich wusste nicht, wie ich ihr die Dinge erklären konnte. Es war entweder ganz einfach oder endlos kompliziert.
    Für Ksü war es eher endlos kompliziert. Sie hatte nur ein Auge geöffnet, das andere war zusammengekniffen.
    »Alles klar?«, fragte ich.
    »Ich wusste gar nicht, dass du so gut drauf sein kannst«, murmelte Ksü.
    Ich lachte.
    »Aber sag mal.« Ksü schloss sicherheitshalber auch das zweite Auge. »Sollten wir uns nicht so schnell wie möglich aus dem Staub machen?«
    »Keine Sorge«, sagte ich. »Hier können sie niemals hin.«
    »Wo sind wir?«
    Und dann sagte ich es ihr.
    »Ksü«, sagte ich so unaufgeregt wie möglich, »wir sind in dem Quadrum, das meine Mutter gemalt hat.«
    »Was?« Ksü richtete sich abrupt auf, schwankte etwas, offenbar war ihr noch schwindlig. Mir ging es dagegen sehr gut, ich fühlte mich leicht und beschwingt – am liebsten wäre ich aufgesprungen und losgerannt.
    »Na ja«, sagte ich und zuckte mit den Schultern. »So ist es eben.«
    »Dann ist es also wahr«, flüsterte Ksü.
    »Was?«
    »Das mit den Quadren.«
    »Ich bin ja auch schon mal so zu dir gekommen, als du krank warst. Ich hatte es damals noch nicht so richtig kapiert … nicht richtig wahrhaben wollen. Verstehst du?«
    Ksü nickte langsam.
    »Und eben – mit all diesen Polizisten: Ich dachte schon, wir sind verloren, da hatte ich das

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