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Spiegelriss

Spiegelriss

Titel: Spiegelriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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passiert? Erklär es mir bitte.«
    Er zuckt mit den Schultern, als wäre die Frage dumm. Dann deutet er auf den schlafenden Kojote.
    »Was ist jetzt mit dem Kerl? Hier kann er nicht liegen bleiben.«
    »Wir könnten ihn zusammen nach oben ins Bett tragen«, sage ich vorsichtig. Und halte sofort inne. Ich habe noch gar nicht gefragt, ob ich überhaupt bleiben darf.
    »Ich kenne ihn nicht. Ich kann ihm nicht trauen«, sagt Ivan gleichgültig.
    »Aber mich kennst du doch. Scheinst mir aber auch nicht zu trauen«, bemerke ich bitter.
    »Nimm es nicht persönlich. Die Zeiten sind so.«
    »Die Zeiten?« Ich spüre, wie Wut in mir hochsteigt. Ich hätte viel früher wütend werden sollen, denn endlich wird mir warm. Ivan schaut mich besorgt von der Seite an, als würde er jetzt abschätzen wollen, wie gefährlich ich bin. Soll er doch Angst vor mir haben, denke ich zornig.
    »Du benimmst dich so, als würdest du mich nicht mehr kennen, Ivan. Was habe ich dir getan? Was genau nimmst du mir übel? Den Wald? Meine Mutter hat dich da reingeholt, als du schwer verletzt warst, um dich vor der Polizei zu retten. Okay, die Polizei war letztendlich meinetwegen da… aber ich kann doch nichts dafür. Hasst du mich, weil deine Eltern gestorben sind und du meiner Mutter die Schuld gibst?«
    Ivan hebt den Kopf und sieht mir in die Augen. Ich höre sofort auf zu brüllen. Für einen kurzen Moment erkenne ich den Schmerz, der darin aufflackert.
    »Hast du gesehen, was mit Ksü passiert ist?«
    Für einen Moment bleibt mir die Spucke weg. Was glaubt er denn? Natürlich habe ich gesehen, was mit ihr passiert ist. Gesehen, aber nicht verstanden. »Ksü verwandelt sich«, sagt Ivan.
    »Ist das… eine Nebenwirkung des Inspiros?«, frage ich und hoffe, dass meine Frage nicht dumm wirkt. Ich weiß nicht viel darüber. Ksü war nach der Explosion in ihrem Haus so schwer verletzt, dass sie im Sterben lag. Meine Mutter hatte einen Inspiro gerufen, der sich für ihren Körper und damit auch für die Heilung zuständig erklärt hat.
    »Eine Nebenwirkung?«, fragt Ivan und die Hoffnungslosigkeit in seinem Gesicht verursacht mir einen fast körperlichen Schmerz. »Das ist die Hauptwirkung. Sie ist der Inspiro.«
    Die furchtbare Wahrheit sickert in mich hinein. So ausgesprochen wirkt es viel schlimmer als nur gedacht. Aber natürlich weiß ich es, ich wusste es von dem Moment an, als ich Ksü an der Tür gesehen habe. Ich habe es bei meinem Vater gesehen. Und bei ihm habe ich auch erlebt, was passiert, wenn der Inspiro den Körper wieder verlässt. Wenn man das geliehene Leben wieder zurückgeben muss.
    »Das ist entsetzlich, Ivan, aber wofür hasst du jetzt mich?«, frage ich hilflos, dabei bin ich es ja selber, die sich hasst.
    »Ich hasse dich nicht!«, schreit Ivan plötzlich und nun trete ich einen Schritt zurück. Ich habe ihn noch nie schreien gehört. »Aber ich bin, nachdem wir vom Feuer aus dem Wald geflohen sind, tagein, tagaus mit den Folgen von dem beschäftigt, was andere angerichtet haben. Ihr denkt, es ist so einfach, es ist alles erlaubt, ihr überlegt überhaupt nicht, bevor ihr was tut. Aber alles, was ihr macht, hat Konsequenzen und vieles davon ist vernichtend für andere. Weil deine Mutter so dringend ihre Quadren malen musste, die andere um den Verstand bringen, sind meine Eltern tot und meine Schwester verwandelt sich in ein Reptil. Unsere Welt bricht auseinander und ich kann es mir nicht leisten, jetzt noch etwas falsch zu machen. Ksü ist das Einzige, was mir geblieben ist, verstehst du? Aber ich finde keinen Zugang mehr zu ihr, weil sie dich so vermisst hat, dass sie lieber sterben wollte, als ohne dich zu leben. Es ist, als hätte der Wald ihr einen Teil ihrer Seele geraubt.«
    Ich habe so etwas Ähnliches schon mal gehört, denke ich. Kojote hat es aber irgendwie anders formuliert.
    »Du hast alles, was ihr macht gesagt.« Ich kämpfe mich mühsam durch den Satz. Ich muss Ivan diese Frage stellen, denn darum dreht sich das hier alles. »Wen meinst du mit ihr?«
    »Was für eine Frage.« Und weil ich ihn immer noch angucke, spuckt er aus: »Ihr Pheen.«
    »Ich weiß immer noch nicht, ob ich eine bin.«
    Ivan lacht, aber es klingt alles andere als fröhlich.
    »Früher hast du anders über Pheen gesprochen. Früher wolltest du ein Pheen-Anwalt werden«, sage ich.
    »Früher war früher.«
    »Und jetzt hasst du die Pheen wie ein Vorzeige-Normaler, oder was?«
    »Nein«, sagt Ivan und seine Stimme klingt wieder ruhig und

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