Spiegelschatten (German Edition)
zusammengefallen war.
Die Mail an Björn Berner konnte nicht zurückverfolgt werden, da der Absender offenbar einen Anonymisierungsdienst in Anspruch genommen hatte, um seine IP -Adresse zu verschleiern. Leichter hatten es ihnen die Drohbriefe an die Geschwister Berner gemacht.
Sie waren auf Fingerabdrücke untersucht worden. Man hatte, wie erwartet, keine gefunden. Jedoch lag das Ergebnis der Schriftanalyse vor, die besagte, dass die Schriftstücke mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von ein und derselben Person verfasst worden waren.
Die Nachricht an Björn Berner war, wie Bert und Rick bereits vermutet hatten, mit rotem Marker (Pelikan) geschrieben. Die an Romy Berner tatsächlich mit Blut. Allerdings handelte es sich dabei nicht um Menschen-, sondern um Rinderblut, was Bert zutiefst erleichtert hatte.
Die Schriftproben waren auch einem Graphologen vorgelegt worden, der sich bereit erklärt hatte, ein rasches vorläufiges Gutachten zu erstellen. Obwohl es sich um Druckbuchstaben handelte und sehr unterschiedliches Schreibmaterial verwendet worden war (einmal Marker, einmal Pinsel), hatte er interessante Beobachtungen machen können.
Nach seinen Erkenntnissen verbarg sich hinter dem Verfasser eine männliche Person zwischen zwanzig und fünfunddreißig Jahren mit ausgeprägten narzisstischen Neigungen und der Tendenz zu Dominanz und Größenwahn. Gleichzeitig sei diese Person im tiefsten Innern voller Unsicherheit, und sie verwende, so das Gutachten, unendliche Mühe darauf, dies zu verbergen.
Die hastig und unregelmäßig niedergeschriebenen Buchstaben, so das Gutachten weiter, zeugen nicht von Eile, sondern von immenser Wut. Diese Person steht unter einem ungeheuren psychischen Druck. Sie hat enorme Schwierigkeiten, sich zu kontrollieren, ist dabei jedoch von hoher Intelligenz. Sie verfügt über eine ausgeprägte Sensibilität und besitzt gleichzeitig eine starke emotionale Kälte.
Auffällige Unregelmäßigkeiten im Schriftbild lassen auf die Möglichkeit schließen, dass die Person unter einer Persönlichkeitsstörung leidet.
Das war eine ganze Menge, doch es war längst noch nicht genug.
Bert saß vor seiner Pinnwand im Büro, die sich rasch gefüllt hatte. Neben den Fotos der Leichen hingen Aufnahmen, die zu Lebzeiten der Opfer gemacht worden waren. Die Fotos der Tatorte waren chronologisch untereinander angeordnet und mit Zahlen versehen. Auf einer Landkarte hatte Bert Wohn- und Fundort der Toten markiert.
Zwei Morde in Köln, zwei in Bonn. Doch er bezweifelte, dass die Symmetrie gewollt war.
Auf einem Blatt Papier hatte er das Verbindende der Taten notiert:
Alle Opfer waren homosexuell gewesen.
Alle waren erschlagen worden (auch Josch Bellmann. Titus hatte ihnen das Ergebnis der Obduktion eben telefonisch mitgeteilt. Tatwaffe war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein glatter Stein, den der Täter entsorgt haben musste).
Alle gehörten zu Björn Berners Freundeskreis.
Sie suchten also nach einem Mann zwischen zwanzig und fünfunddreißig, der Zugang zu Björn Berners Freundeskreis hatte oder ihm angehörte. Einem Mann voller Widersprüche, der eventuell unter einer Persönlichkeitsstörung litt.
Bert überflog noch einmal die übrigen Punkte des graphologischen Gutachtens. Sie entsprachen in etwa der Vorstellung, die er sich von dem Täter gemacht hatte.
Die Tür schwang auf und Rick kam herein. Er rieb sich immer noch alle paar Stunden Hals und Brust ein und verströmte einen so durchdringenden Geruch nach ätherischen Ölen, dass Bert vom bloßen Hingucken die Augen tränten.
» Muss sein«, erklärte Rick. » Kommst du mit in die Kantine?«
Bert fragte sich, ob das Essen eine Chance hatte, nach etwas anderem zu schmecken als nach Ricks großzügig aufgetragenem Erkältungsmix, aber er nickte und stand auf.
» Was weißt du über Homophobie?«, fragte er auf dem Weg zur Kantine.
» Schwulenhass«, antwortete Rick wie aus der Pistole geschossen. Offensichtlich hatte er gut recherchiert. » Entsteht nach dem alten Freud bei Menschen, die ihre eigenen homoerotischen Anteile leugnen und bekämpfen.«
» Und durch Erziehung, Umwelt oder die Erwartungen einer Gesellschaft«, sagte Bert. » Denk nur an die Religionen mit ihren rigiden Einstellungen allem gegenüber, was außerhalb ihrer Moralvorstellungen existiert.«
» Also tatsächlich ein Fall von Homophobie«, murmelte Rick.
» Sieht ganz danach aus.«
Kurz darauf saßen sie an einem Tisch am Fenster und
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