Spiegelschatten (German Edition)
Blick aus.
» Hilf mir, Romy!«
Hatte sie sich nicht selbst gewünscht, ihren Bruder in Sicherheit bringen zu können? Warum unterstützte sie Maxim dann nicht dabei, ihren Wunsch in die Tat umzusetzen?
Er legte die Hand auf ihre. » Bitte!«
» Und wenn ich euch begleite?«
» Wär es nicht sinnvoller, wenn du die Möglichkeiten deines Jobs nutzen würdest,« er strich fast liebevoll über ihre Finger und zog seine Hand dann wieder zurück, » um Informationen heranzuschaffen?«
Außerdem müsste sie Greg um ein paar freie Tage bitten. Er würde sofort wittern, wozu sie die brauchte. Und wie lange würden sie im Untergrund bleiben müssen? Eine Woche? Zwei? Länger?
Manche Täter wurden nie gefasst.
» Hallo? Bist du noch da?« Maxim wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum.
» Entschuldige. Ja. Du hast wahrscheinlich recht.«
» Wir können über Handy Kontakt halten«, sagte Maxim eilfertig. » Und sobald der Kerl hinter Schloss und Riegel sitzt, sind wir wieder hier.«
» Okay…« Romy sah ihm tief in die Augen, um zu erkennen, ob sie ihm wirklich ihren Bruder anvertrauen konnte. » Gehen wir mal davon aus…«
» Danke, Romy! Oh, danke! Vielen, vielen Dank!« Maxim sprang auf, kam um den Tisch und zog sie in seine Arme. » Das werde ich dir nie vergessen. In meinem ganzen Leben nicht.«
Er drückte sie so fest an sich, dass ihr die Luft wegblieb. Lachend befreite sie sich aus seinem Griff.
» Hey, du bringst mich ja um!«
Das waren die falschen Worte. Maxim ließ sie sofort los und sie wandten sich beklommen voneinander ab. Er setzte sich wieder hin.
» Ehrlich, Romy«, sagte er leise, » wenn du mir wirklich hilfst, Björn zu überreden, dann hast du was bei mir gut.«
» Also.« Romy beugte sich verschwörerisch über den Tisch. » Was kann ich tun?«
*
Björn hatte sich selten so mies gefühlt wie beim Verfassen dieser verdammten Liste. Jedes Mal, wenn er einen Namen niedergeschrieben hatte, war es gewesen wie ein Verrat.
Jeden seiner Freunde, jeden seiner Bekannten hatte er auf diese Weise zu einem Verdächtigen gemacht. Und am liebsten hätte er alles zurückgenommen.
Er hätte jetzt gern mit Maxim geredet. Oder mit Romy. Doch beide konnte er nicht erreichen.
Zu wem sonst durfte er noch unbegrenztes Vertrauen haben?
Das war das Schlimmste, dass Zweifel seinen Kopf und sein Herz vergifteten. Plötzlich erschien ihm jedes Wort mehrdeutig. Jeder Blick vielsagend. Die Zweifel isolierten ihn. Er hatte keine Lust mehr, sich mit Freunden zu treffen, jemandem in der Uni zu begegnen. Nicht mal mehr Lust, überhaupt die Wohnung zu verlassen.
Immer wieder geisterten ihm Bilder seiner toten Freunde durch den Kopf. Leonard sollte in seiner Heimatstadt Jülich beigesetzt werden, Sammy in Singen am Bodensee. Tobias würde in Rodenkirchen die letzte Ruhe finden, Josch in Beuel.
Björn hatte nicht vor, seine Freunde auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Er traute es sich nicht zu. Es überstieg seine Kräfte.
» Du versuchst, ihren Tod zu ignorieren«, hatte Maxim gesagt.
» Quatsch! Ich weiß doch, dass sie tot sind.«
» Aber du fühlst es nicht, Björn. Und solange du es nicht fühlen kannst, ist ihr Tod für dich nicht wirklich wahr.«
» Behalte deine Küchenpsychologie für dich«, hatte er Maxim verärgert angeraunzt und war türenknallend in seinem Zimmer verschwunden.
Wann war das gewesen?
Er erinnerte sich nicht. Er hatte gar kein Gespür mehr für die Zeit, die verging. Eben noch hatte er mit Josch auf dem Marktplatz gestanden und geredet und nun war Josch tot und lag in der Leichenhalle. Das war doch verrückt.
Noch verrückter allerdings war, dass er Sammy und Josch noch in seiner Nähe spürte. Als brauchte er bloß die Hand auszustrecken, um sie berühren zu können.
» Das ist leicht zu erklären«, hatte Maxim gesagt. » Sie waren besonders enge Freunde und deshalb trägst du sie in deinem Unterbewusstsein…«
Björn hatte ihm nicht länger zugehört. Er hatte Laufschuhe und Jacke angezogen und sich draußen verausgabt, bis er nur noch aus schmerzenden Muskeln zu bestehen schien.
War das gestern gewesen? Vorgestern?
Wenn es so weiterging, würde er Maxim verlieren.
Und mich selbst, dachte er.
Obwohl ihm bei diesem Gedanken alles wehtat, konnte und konnte er nicht aufhören, ihn in seinem Kopf zu bewegen. Ihn und die anderen Gedanken, die ihn fertigmachten.
Und die schrecklichen Bilder.
Er kroch ins Bett, am hellichten Tag, zog die Decke bis ans Kinn und versuchte
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