Spiegelschatten (German Edition)
Kannst du bitte mal ernst bleiben?«
» Maxim… wir dürfen jetzt nicht die Nerven verlieren.«
» Leicht gesagt, wo alle Stunde ein Streifenwagen am Haus vorbeifährt.«
» Zu unserem Schutz.«
» Dein Gottvertrauen möchte ich haben.«
Allmählich reichte es Björn. Er hatte selbst Mühe, die Reste seine Zuversicht zusammenzukratzen, damit seine Angst nicht über die Ufer trat. Da war Maxims Verhalten nicht gerade hilfreich.
» Meinst du nicht, ich müsste mir eigentlich Sorgen machen?«, fragte er und hätte die Worte am liebsten sofort zurückgenommen. Streit mit Maxim war das Letzte, was er jetzt brauchen konnte.
» Ach. Willst du mir sagen, dass ich übertreibe? Dass meine Angst unberechtigt ist. Ja? Willst du das?«
» Nein. Ich denke nur, dass die Drohungen konkret sind, während…«
» …während mein Gefühl, beobachtet und verfolgt zu werden, reine Einbildung ist?«
Maxim sprang auf und tigerte in Björns Zimmer umher. Er rang um Fassung, hyperventilierte beinah.
» Natürlich glaube ich nicht, dass du dir den Verfolger nur eingebildet hast. Komm, Maxim, sei nicht ungerecht. Wir machen eine schwere Zeit durch, da dürfen wir nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen.«
Offenbar hatte er den richtigen Ton gefunden, denn Maxim lief noch ein paar Mal zwischen Tür und Fenster hin und her und ließ sich dann wieder in den Sessel fallen.
» Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist«, sagte er. » Diese Hilflosigkeit macht mich fertig.«
» Mich doch auch.« Björn beugte sich vor und strich ihm über den Arm. » Jeden von uns. Wir sollten nicht so viel allein sein, Maxim. Uns mit den andern zusammensetzen. Reden. Das hilft vielleicht.«
» Die Bedrohung richtet sich gegen uns, Björn, nicht gegen die andern.«
» Leonard, Sammy, Tobias und Josch sind tot! Tot, Maxim! Aber du und ich, wir leben.«
» Sie waren nur der Anfang«, flüsterte Maxim. » Er kommt näher, Björn, wie in meinem Traum.«
Björn wusste nicht, was er darauf erwidern sollte.
» Lass uns abhauen, Björn.«
Maxims Gesicht war jetzt voller Eifer. Sein Blick flehend.
» Was?«
» Lass uns abhauen«, wiederholte Maxim. » Irgendwohin. Ich hab ein bisschen Geld gespart. Damit kommen wir ein paar Wochen über die Runden. Und wenn es länger dauert, suchen wir uns einen Job.«
Es hielt ihn nicht mehr im Sessel. Er lief zum Fenster und riss es auf. Frische, kalte Luft strömte herein und ließ Björn frösteln.
» Wir bleiben weg, bis das Ungeheuer gefasst ist. Erst dann kommen wir wieder zurück.«
Eine verführerische Vorstellung. Aber konnten sie das verantworten? Vor den andern?
Vor sich selbst?
Langsam schüttelte Björn den Kopf.
» Bitte!« In Maxims Stimme lag ein Drängen, dem Björn sich kaum entziehen konnte. » Sag nicht nein, bevor du es gründlich überlegt hast.«
Es war nicht so, als hätte Björn nicht selbst schon diesen Fluchtreflex verspürt. Weg von hier, raus aus der Gefahrenzone, irgendwohin, wo es sicher war.
Sicher…
» Wir könnten uns nicht mehr im Spiegel angucken«, sagte Björn und musste sich zu jedem Wort zwingen. » Er tötet unsere Freunde, und wir verstecken uns irgendwo, als ginge uns das nichts an?«
Mit einer zornigen Bewegung schloss Maxim das Fenster. Reglos stand er da und blickte hinaus. Björn starrte seinen Rücken an und wünschte, das, was Maxim vorgeschlagen hatte, sei möglich.
Doch das war es nicht, und auch Maxim wusste es. Deshalb war sein Rücken so gerade, so abweisend, so fremd.
» Dann hauen wir eben alle ab«, sagte Maxim schließlich in dem vergeblichen Versuch, den Ernst der Lage zu ignorieren. So war er oft, vergaloppierte sich und zog sich dann in eine fast kindliche, entwaffnende Logik zurück.
Was meistens funktionierte.
Kannst du den einzelnen Menschen nicht retten, dann rette eben die ganze Welt.
Björn stand auf und ging zu ihm. Er legte ihm den Arm um die Schultern und blieb eine Weile so neben Maxim stehen. Keiner von ihnen sagte etwas. Sie standen nur da und schauten hinaus, als gäbe es da draußen etwas zu sehen, was sie nicht bereits hundert Mal gesehen hätten.
Lieber Gott, dachte Björn. Wenn es dich gibt, dann lass es uns spüren.
Doch er spürte nichts. Nichts außer Trauer. Und Angst.
*
Sollten sie sich doch alle in ihren Löchern verkriechen. Es würde ihnen nicht helfen. Nichts konnte ihnen helfen.
Sie hatten den Zorn der Stimme erregt.
Ihr Zorn war gewaltig. Nichts und niemand konnte ihm ausweichen.
Das wusste er selbst nur
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