Spiegelschatten (German Edition)
immer noch, als wollte er zerspringen.
Schon nach den ersten hundert Metern hatte Minette angefangen, verrücktzuspielen. Zuerst hatte sie nur ein leises Maunzen von sich gegeben. Dann war daraus ein Jaulen geworden, ein langgezogener Klagelaut, der tief in ihrer Kehle begann und sich allmählich nach oben schraubte. Schließlich hatte sie geknurrt und gefaucht und sich immer wieder gegen die ohnehin nicht sehr stabile Tür des Katzenkorbs geworfen.
» Lass mich ans Steuer«, hatte Maxim irgendwann gebeten, » und versuch gefälligst, diese durchgeknallte Kamikazekatze dahinten zu beruhigen.«
» Nenn sie nicht so«, hatte Björn ihn zurechtgewiesen. » Sie spürt es, wenn du schlecht über sie redest.«
Klar, hatte Maxim gedacht und wortlos mit Björn die Plätze getauscht. Er hatte nicht übel Lust gehabt, das blöde Vieh auf dem Autodach festzuschnallen. Oder irgendwo auszusetzen. Überlebten Katzen nicht immer und in jeder Lage?
Kilometerlang sprach Björn geduldig auf Minette ein, die unbeeindruckt weiterrandalierte.
» Komm, Süße«, bettelte er. » Beruhige dich doch. Wir sind ja bald da und dann darfst du wieder rumlaufen.«
» Rumlaufen?« Maxim schnaubte verächtlich. » Sie wird unter irgendein Möbelstück huschen und stundenlang nicht mehr darunter hervorkommen.«
» Weil sie traumatisiert ist, Maxim. Kannst du nicht ein bisschen Verständnis für sie aufbringen? Sie hat Sammy verloren, ihn vielleicht sogar sterben sehen. Dann wurde sie gegen ihren Willen aus der Wohnung gezerrt und in eine andere bugsiert. Und jetzt wird sie wieder entwurzelt.«
» Entwurzelt! Minette ist eine Katze, kein kleines Kind!«
Und sie gehört nicht in meinen Kofferraum, dachte Maxim, sondern in eine Klapsmühle für persönlichkeitsgestörte Stubentiger.
Hektisch wandte Björn sich wieder zu der Katze um. » Du musst dich nicht um sie kümmern, Maxim. Das erledige ich. Du brauchst keinen Finger für sie zu rühren. Ehrenwort.«
Und Minette knurrte und fauchte und jammerte in unverminderter Lautstärke weiter. Man konnte sein eigenes Wort nicht verstehen.
Es fing an zu regnen. Der linke Scheibenwischer zog stotternd Schlieren auf dem Glas, die Maxims Sicht beeinträchtigten. Die Fahrt stand unter keinem guten Stern.
Nach anderthalb Stunden kamen sie in Halver an, einer kleinen Stadt, von der Maxim nie zuvor gehört hatte. » Das also ist Halver«, sagte er trocken. » Viel Natur hier.«
» Sauerland eben.« Björn lachte. » Und das Bergische Land ist gleich um die Ecke. Mit noch mehr Regen und noch mehr Natur.«
Minette war inzwischen heiser geworden, was sie jedoch nicht daran hinderte, ihnen weiter auf den Nerven herumzutrampeln. Maxim gab sich alle Mühe, ihre Geräusche auszublenden.
» Fast hätten wir uns in die Wolle gekriegt«, sagte er, und ein bisschen bat er Björn damit um Verzeihung.
Björn studierte aufmerksam die Route, die Maxims transportables Navigationsgerät anzeigte. » Von der B229 rechts auf die Elberfelder Straße und wieder rechts in die Goethestraße«, sagte er. » Wir sind fast da.«
Maxim konnte es kaum erwarten, endlich auszusteigen und sich zu bewegen. Und endlich Ruhe von diesem vermaledeiten Vieh zu haben.
» Goethestraße«, schwärmte Björn. » Ist das nicht eine schöne Adresse? Namen wie Schiller, Eichendorff und Lessing gibt’s hier natürlich auch noch und weiter unten fangen die Musikerstraßen an.«
Solche Sätze liebte Maxim an Björn. Für wen sonst würde der Name der Straße, in der man für eine Weile unterkriechen wollte, eine Rolle spielen?
Das Haus war alt und grau wie alle Häuser in dieser Straße. Man sah ihm an, dass es von alten Leuten bewohnt worden war. Maxim hätte nicht erklären können, woran genau er das erkannte. Vielleicht lag es an dem Zustand des Vorgartens, in dem schon lange niemand mehr etwas verändert zu haben schien und in dem der Efeu die Herrschaft übernommen hatte. Vielleicht auch daran, dass die Gardinen so schlaff und traurig an den Fenstern hingen.
Minette hatte schlagartig aufgehört zu toben. Sie machte sich in ihrem Korb so klein wie möglich und starrte ängstlich durch das Plastikgitter der Tür. Als Maxim sich zu ihr hinunterbeugte, fauchte sie ihn an.
» Die nackte Panik«, erklärte Björn. » Bevor wir auspacken, sollten wir uns das Haus angucken und ihr Zeit geben, sich zu beruhigen.«
Damit war Maxim sehr einverstanden.
Björn öffnete das Tor der angebauten Garage, und sie sahen, dass ein betagter Mercedes
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