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Spiegelschatten (German Edition)

Spiegelschatten (German Edition)

Titel: Spiegelschatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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stehen und schaute sich um.
    Es war, als hätte jemand über alles einen Filter gelegt, um die Konturen zu verwischen. Hatte es hier nicht eben noch einen Weg gegeben, den er entlanggelaufen war? Er erinnerte sich an Steine. An Grasbüschel rechts und links.
    Jetzt war da nichts mehr. Nichts.
    Weil es ein Traum ist, erklärte Maxim sich selbst. Ein dummer, verworrener Traum. Du brauchst bloß die Augen aufzumachen, und er ist vorbei.
    Aber das war unmöglich. Wie schwere Glasmurmeln lagen seine Augen in ihren Höhlen, fest umschlossen von den zuckenden Lidern.
    Vorsichtig ging er weiter und die Gestalt folgte ihm.
    Noch bevor er angekommen war, wusste Maxim, dass ihn der Weg, den er immer noch nicht erkennen konnte, auf einen Friedhof führte.
    Wind raschelte im Efeu der alten Gräber. Es roch nach Winter. Ein Wolf heulte in der Ferne und eine ganze Meute von Wölfen stimmte in das Heulen ein.
    Ein Traum, dachte Maxim. Nur ein scheußlicher, elender Traum. Es gibt hier keine Wolfsrudel mehr.
    Warum gelang es ihm nicht, sich selbst zu überzeugen?
    Allmählich wurden die Konturen der Dinge schärfer.
    Das Grab, vor dem Maxim stand, war eingesunken und von dürrem Gestrüpp bedeckt. Ein verdurstender kleiner Rosenbusch mit winzigen farblosen Blüten behauptete sich trotzig in all den Spuren der Verwahrlosung gegen das Vergessen.
    Maxim trat näher, die Schritte seines Verfolgers schon im Ohr.
    Behutsam wischte er mit der Hand über den schiefen, bemoosten Grabstein und legte die verwitterte Inschrift frei.
    Max . . Wi . . . r
    Und während die dunkle Gestalt bereits ihren Schatten auf die Buchstaben warf, versuchte Maxim immer noch zu begreifen.
    *
    Ein Anruf morgens, einer mittags oder nachmittags und einer abends. Das hatte Romy mit Björn vereinbart. Zur Sicherheit auf beiden Seiten. Deshalb war sie nicht überrascht, als sie Björns Namen auf dem Display ihres Handys erkannte.
    » Hi«, sagte sie trocken. » Ich lebe noch. Du offensichtlich auch.«
    » Wenn das hier vorbei ist«, antwortete Björn, » schreiben wir ein Buch, du und ich. Die Kunst des Überlebens.«
    » Au ja. Und als Untertitel: Undercover in Halver.«
    Björn lachte, und Romy fragte sich, ob sie je einen anderen Menschen so lieben könnte wie ihn. Björn war ihr näher als ihr eigener Schatten. Er war so sehr Teil von ihr, dass eine Trennung für sie unvorstellbar war. Seine Abwesenheit ertrug sie nur, weil sie genau wusste, wo er steckte, und sie ihn jederzeit erreichen konnte.
    » Aber so witzig ist es hier leider nicht«, sagte Björn. » Hinterm Garten ist ein Wald und schräg dahinter liegt ein Friedhof.«
    Romy wusste, worauf er hinaus wollte. Schon als Kind war er tief unter die Bettdecke gekrochen, wenn jemand ihnen Gespenstergeschichten vorgelesen hatte.
    » Tote, Romy!«
    » Irgendwo müssen sie ja begraben werden.«
    » Meine abgebrühte Journalistenschwester…«
    » Du darfst dich nicht in unbegründete Ängste hineinsteigern, Björn.«
    » Und nicht mehr an Zeichen glauben?«
    » Björn…«
    » Kurz nachdem wir den Friedhof entdeckt hatten, hab ich Geräusche auf dem Dachboden gehört.«
    Romys Kopfhaut zog sich zusammen.
    » Es war schließlich nur ein Marder, aber auch das kann ein Zeichen sein.«
    Romy hatte kein Recht dazu, Björns Vorahnungen als Spinnerei abzutun. Glaubte sie denn nicht selbst daran, dass der Ring von Ingos Großmutter sie schützte?
    » Es ist ein altes Haus«, sagte sie. » Wahrscheinlich sind Dachboden und Keller von allem möglichen Viehzeug bevölkert.«
    » Das Haus spricht, Romy. Es knirscht und knarrt überall. Viel Holz, weißt du, und das bewegt sich und verursacht die merkwürdigsten Laute.«
    Romy unterbrach ihn nicht.
    » Und weil die Räume noch voll eingerichtet sind, hast du das Gefühl, du drehst dich um und siehst auf einmal den alten Mann und die alte Frau, die hier gewohnt haben, auf dem Sofa sitzen. Oder du gehst ins Arbeitszimmer und erwartest für eine Sekunde, einen von beiden am Schreibtisch zu sehen. In der Küche, im Schlafzimmer, im Bad, es ist überall dasselbe… Bist du noch da?«
    » Ich höre dir zu.«
    » Es ist, als wären sie immer noch hier. Wären sie tot, würde ich denken, ihr Geist hätte noch nicht ins Licht gefunden.«
    Ins Licht gefunden.
    Björn glaubte fest an ein Leben nach dem Tod. Er glaubte daran, dass die Seele eines Verstorbenen mehrere Bewusstseinsstufen durchleben muss, bevor sie in die Ewigkeit eingehen darf. Und dass in der ersten Phase die Bindung an das

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