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Spiegelschatten (German Edition)

Spiegelschatten (German Edition)

Titel: Spiegelschatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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zersplittern lassen.
    » Frau Sattelkamp…«, begann er, als sie einander an einem niedrigen Couchtisch aus milchigem Glas gegenübersaßen.
    » Es geht um Tobias, nicht wahr?«, unterbrach sie ihn.
    Bert nickte.
    » Er ist tot«, stellte sie fest, als hätte sie auf diese Nachricht gewartet.
    » Frau Sattelkamp, es tut mir leid, Ihnen…«
    » Ich habe es gewusst«, sagte sie abwesend, den Blick auf das Feuer gerichtet. » Ich hätte nicht auf meinen Mann hören dürfen. Er war zu streng, zu unnachgiebig. Er…«
    Sie hörte mitten im Satz auf zu sprechen und legte den Kopf schief, als horche sie auf irgendwas.
    Bert ließ ihr Zeit.
    » Wie hat er es… getan?«, fragte Frau Sattelkamp.
    Es dauerte einen Moment, bis Bert begriff, dass sie von einem Selbstmord ausging. Schmerzhaft vermisste er Rick, der ihm in diesem Augenblick hätte zur Seite springen können.
    » Ihr Sohn wurde ermordet«, sagte er ohne Umschweife. Nichts, was er hätte tun oder hinzufügen können, hätte die Wucht dieses Schlags abgemildert.
    Ihr Blick löste sich von dem Feuer. Sie sah Bert an . Der hatte Mühe, ihren Gesichtsausdruck zu deuten, doch schließlich begriff er: Bei allem Schmerz empfand diese Mutter so etwas wie Erleichterung!
    Erleichterung, weil sie und ihren Mann keine Schuld traf.
    Bert saß da und rang um Fassung. Er sah das Gesicht des Toten vor sich, so jung, so bleich, erinnerte sich an die Tränen der behinderten Frau, die um ihn trauerte, obwohl sie ihn gar nicht richtig gekannt hatte, an die Betroffenheit des Jungen, der zusammen mit Tobias Dienst getan hatte.
    Und hier?
    Was war das für ein Elternhaus, in dem es keine Farben gab und keine Wärme, nicht mal, wenn ein Feuer im Kamin brannte?
    » Darf ich ihn sehen?«, fragte die Hausherrin da.
    Bert war ihr so dankbar für diese Frage, dass er sich beherrschen musste, um ihr das nicht zu zeigen.
    » Selbstverständlich«, sagte er.
    Alles andere würde sich fügen. Er würde ihr seine Fragen stellen und ihre Antworten hören. Doch zunächst einmal würde er sie in Ruhe lassen.
    » Gibt es jemanden, der Ihnen Gesellschaft leisten kann?«, fragte er.
    Sie nickte. » Mein Mann kommt gleich nach Hause.«
    An der Tür reichte sie ihm eine kalte Hand.
    » Er hat es nie verwunden, dass Tobias… dass er… nicht so war wie sein Bruder.«
    Nicht normal, dachte Bert. Nicht heterosexuell. Er wagte nicht, sich auszumalen, was für eine Kindheit, was für eine Pubertät Tobias Sattelkamp in diesem Haus erlebt haben mochte.
    Die Begegnung beschäftigte ihn immer noch, als er jetzt auf dem Weg zu Urs Grünwald war, dem Psychotherapeuten, der Tobias behandelt hatte. Er war sofort bereit gewesen, einen Termin zu verschieben, um sich für Fragen zur Verfügung zu stellen.
    » Tobias, mein Gott«, hatte er am Telefon gemurmelt, und Bert hatte den Eindruck gewonnen, dass der Psychotherapeut ehrlich erschüttert war.
    Die Praxis befand sich im Erdgeschoss eines Gründerzeithauses in der Bismarckstraße. Der Empfangsbereich war mit freundlichen Bücherregalen, zwei cognacfarbenen Ledersesseln und einem Mosaik-Couchtisch in angenehmen Sand- und Steintönen gestaltet. Gesunde Grünpflanzen und gerahmte Fotografien von südlichen Landschaften streichelten die Seelen der Patienten, die hier vielleicht eine Weile warten mussten.
    Falls Urs Grünwald sie überhaupt je warten ließ. Das hier war keine Praxis für Kassenpatienten. Wer hierher kam, war privat versichert.
    Doch dafür, dachte Bert, zahlt manch einer auch einen hohen Preis. Das große, stille Haus in Rodenkirchen mit der einsamen, beherrschten Frau in dem exquisit und leblos eingerichteten Wohnzimmer wollte ihm nicht aus dem Kopf. Er trug das Bild mit sich, seit er sie verlassen hatte.
    Bei solchen Eltern kam nur ein Edeldoktor infrage.
    Urs Grünwald, der ohne Sekretärin auszukommen schien, war mittelgroß und übergewichtig und erweckte mit der nervösen Angewohnheit, seine Brille abwechselnd auf- und abzusetzen, nicht eben den Eindruck solider Überlegenheit. Bert hatte ihn sich rank und schlank vorgestellt und mit sich selbst und der Welt im Reinen.
    Es ärgerte ihn, dass er sich bei einem solchen Klischee ertappte.
    Der Psychotherapeut schien daran gewöhnt. Der Anflug eines ironischen Lächelns tauchte in seinen Augen auf und verschwand in der gleichen Sekunde wieder. Er bat Bert in seinen Behandlungsraum.
    Gedeckte Farben auch hier, beruhigendes Parkett und Grünpflanzen auf den Fensterbänken. Die schönen Sprossenfenster

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