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Spiegelschatten (German Edition)

Spiegelschatten (German Edition)

Titel: Spiegelschatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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in die Tasche seiner Jacke gesteckt. Als ich aber ins Bett gehen wollte, habe ich ihn auf meinem Kopfkissen gefunden. Daneben lag ein Zettel.
    Er gehörte meiner verstorbenen Großmutter. Es hätte sie gefreut, ihn an deiner Hand zu wissen.
    Noch gestern hätte ich mir Ingo mit einer Familiengeschichte kaum vorstellen können. Er hatte eine Großmutter?, hätte ich gedacht. Und bewahrt ihren Ring auf?
    Und schenkt ihn mir?
    Doch inzwischen hat er eine ganz andere Seite offenbart. Er hat mir zugehört. Mir keine blöden Ratschläge gegeben.
    Er hat mich verstanden.
    Irgendwann hat er angefangen, von sich selbst zu erzählen– vorsichtig, bereit, jederzeit damit aufzuhören und mit einem Lachen so zu tun, als hätte er mir den Sensiblen bloß vorgespielt.
    Vor allem aber hat er nicht versucht, mich anzumachen.
    Um elf hat er sich verabschiedet. Als hätte er sich das von Anfang an vorgenommen. Die Wohnung war auf einmal wieder so furchtbar still, dass ich ihn am liebsten zurückgeholt hätte. Doch dann hab ich seinen Ring gefunden. Ihn wieder angesteckt.
    Und jetzt ist es um mich geschehn. Ich kann mich nicht mehr von ihm trennen.
    Björn wurde von dem kläglichen Miauen der Katze wach. Er wand sich unter der Bettdecke hervor, stand auf und schlich leise aus dem Zimmer, um Maxim nicht aufzuwecken, der den halben Sonntag unter Kopfschmerzen gelitten hatte. Maxim reagierte auf jeden Wetterumschwung. Mal mit Stimmungsschwankungen, mal mit Kopfweh. Das Einzige, was ihm dann half, waren viel Schlaf und Bewegung an der frischen Luft.
    Als sie neulich aus Jux einen Hochsensibilitäts-Test gemacht hatten, den eine Bonner Psychologieprofessorin entwickelt hatte, war er fast am Ende der Punkteskala gelandet, weit jenseits der Grenze, an der Hochsensibilität beginnt.
    Natürlich hatte er es nicht wahrhaben wollen und mit einem Lachen abgetan, doch Björn war nicht überrascht gewesen. Insgeheim hatte er damit gerechnet. Vielleicht gehörte gesteigerte Empfindsamkeit zu dem Preis, den man für so was zahlte?
    Minette kauerte in einer Ecke der Diele und war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, sich schleunigst irgendwo zu verkriechen, und dem Bedürfnis nach Futter und Nähe. Björn hatte sie mit Erlaubnis der Polizei aus Sammys Wohnung geholt und wollte sie behalten, bis sich eine andere Lösung für sie gefunden hätte.
    Sie war eine schwarz-rot gestromte Schönheit, hatte jedoch jegliche Lebensfreude verloren und war schreckhaft und scheu. Björn hätte sie gern getröstet und ihr ein bisschen Wärme gegeben, doch sie ließ ihn nur widerstrebend an sich heran. Seine Hände waren voller Kratzer, die er sich bei den Versuchen geholt hatte, sich ihr gegen ihren Willen zu nähern.
    Er füllte Trockenfutter in ihren Napf und bereitete sich selbst ein Frühstück zu, während er sie hungrig fressen hörte.
    » Arme alte Socke«, murmelte er.
    Es tat der Katze gut, wenn er ruhig zu ihr sprach. Er konnte dann beobachten, wie sich ihre Körperhaltung entspannte. Manchmal putzte sie sich sogar in seiner Gegenwart.
    Nachdem sie ihren Napf geleert hatte, blieb sie in der Küche, wischte sich kurz das Gesicht, rollte sich bei der Tür zusammen und beobachtete Björn aus halb geschlossenen Augen. Er konnte sie schnurren hören, ein seltsam heller, silbriger Ton, ganz anders als das dunkle Schnurren, das er von Katzen kannte.
    » Wenn du doch reden könntest«, sagte er. » Vielleicht könntest du Sammys Mörder beschreiben.«
    Für einen Moment begegneten sich ihre Blicke, bevor Minette den ihren abwandte, nur um gleich darauf Björns Bewegungen wieder aufmerksam zu verfolgen. Björn empfand bei dem Gedanken, dass sich in diesen Katzenaugen mit großer Wahrscheinlichkeit der Mord an Sammy gespiegelt hatte, ein Grauen, das er nur mit Mühe wieder abschütteln konnte.
    Er ging in die Hocke und hielt ihr die Hand hin. » Komm her. Hab keine Angst.«
    Minette robbte ein Stück auf ihn zu und erschrak vor ihrem eigenen Wagemut. Geduckt verschwand sie unter dem alten Küchenschrank, den Björn vor Jahren auf einem Flohmarkt erstanden hatte. Dort würde sie die nächsten Stunden bleiben.
    Björn nahm das Brot aus dem Brotkasten und stellte fest, dass es weiße Stellen hatte. Fluchend warf er es in den Abfall und griff nach seiner Jacke, um zum Kiosk zu laufen und Brötchen zu holen.
    Reif lag auf den Dächern und Björn zurrte den Reißverschluss seiner Jacke zu. Ein braunes Huhn spazierte langsam über die Straße, auf der nie etwas los war.

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