Spiegelschatten (German Edition)
hastig aufsammelte, bevor er sich zu Bert umdrehte.
» Kaffee? Tee? Wasser?«
» Ein Tee wär genau das Richtige«, sagte Bert und folgte Rick in die schmale Küche, die überraschend aufgeräumt war.
In einem Wasserkocher, der die Form eines altmodischen, bauchigen Kessels hatte, setzte Rick Wasser auf und nahm zwei sonnenblumengelbe Becher aus dem Schrank.
» Hab im Augenblick nur Kamillen-, Erkältungs- und schwarzen Tee im Angebot.«
Die Entscheidung fiel Bert leicht. » Schwarzen, bitte.«
Während Rick in einer Schublade nach dem Tee kramte, sah Bert aus dem Fenster auf den charakteristischen Hinterhof, den ein Gewirr von Mauern in unterschiedlich große Parzellen teilte. Noch hing der Winter darin fest. Gartenmöbel waren mit Planen bedeckt, auf denen sich Grünspan gebildet hatte. Tote Zweige lagen unter den nackten Bäumen. Abgestorbenes Laub bedeckte den Boden, und in den Kübeln hatte man tote Sommerpflanzen vergessen.
Nach dem kurzen Frühlingshauch hatte es über Nacht wieder gefroren. Vielleicht waren die Zugvögel zu früh zurückgekehrt?
» Wie geht es dir?«, fragte Bert.
» Bin wieder einsatzbereit.« Rick hängte je einen Teebeutel in die beiden Becher. » Malina sieht das zwar anders, aber ich hab das Kranksein gründlich satt.«
Bert mochte Ricks Freundin. Sie war nicht die Frau, die darin aufging, ihren Mann zu bekochen und zu umsorgen. Aber wenn er sie brauchte, war sie für ihn da. Das genaue Gegenbild zu Margot, dachte Bert und stellte verwundert fest, dass er zum ersten Mal an seine Frau denken konnte, ohne Bedauern oder Ohnmacht zu empfinden.
Rick wirkte völlig verändert auf ihn. Erst nach einer Weile wurde Bert klar, dass es an den Haaren lag, die er nicht mit Gel aufgestylt hatte. Er kam ihm sehr jung vor. Fehlte bloß noch der Konfirmandenanzug.
Rasch unterdrückte er das Grinsen, das ihm auf die Lippen wollte. » Dann setz ich dich mal ins Bild«, sagte er.
Rick trug die beiden Becher zum Couchtisch im Wohnzimmer und hörte Berts Schilderungen aufmerksam zu. Hin und wieder nahm er einen Schluck von seinem Erkältungstee und rümpfte angewidert die Nase.
Bert öffnete die Tasche, die er neben dem Sessel abgestellt hatte, zog seinen Laptop heraus und positionierte ihn so auf dem Tisch, dass sie zu zweit gucken konnten. Dann rief er die Datei mit den Fotos auf, die die Bonner Kollegin während der Trauerfeier geschossen hatte.
Sie steckten die Köpfe zusammen, und Bert roch, dass Rick sich vor Kurzem mit japanischem Heilpflanzenöl eingerieben haben musste. Von wegen, er war wieder einsatzbereit.
Die Aufnahmen waren gestochen scharf, doch die Gesichter sagten ihnen nichts.
» Wie willst du jemanden finden, wenn du gar nicht weißt, nach wem du eigentlich suchst?« Rick wandte sich frustriert vom Laptop ab. » Ebenso gut könntest du über die berühmte Nadel im Heuhaufen stolpern.«
» Wir sollten die Organisatoren im Auge behalten«, sagte Bert. » Denn der Täter hat sie deutlich wahrgenommen, falls er anwesend war.«
» Wovon wir ausgehen.«
» Richtig.«
» Als da wären?« Rick wurde von einem Hustenanfall geschüttelt. Sein Gesicht lief rot an und seine Augen tränten.
» Björn Berner, Josch Bellmann, Eileen Tagger. Und Maxim Winter. Von dem wir seit vorgestern auch ganz offiziell wissen, dass er mehr ist als bloß ein guter Freund von Björn Berner. Da war ich noch mal in Bonn.«
Rick nickte.
» Während ich hier untätig rumgelegen habe«, sagte er nach einer Weile, » habe ich mich gefragt, ob der Täter mit seinen Opfern eine Rechnung zu begleichen hatte, sich also aus einem bestimmten Grund für diese drei Menschen entschieden hat, oder ob es ihm einfach darum geht, Schwule ins Jenseits zu befördern.«
» Und?«
» Die Toten sind ausnahmslos Männer. Ginge es dem Täter einzig um die sexuelle Orientierung seiner Opfer, müsste er dann nicht auch lesbische Frauen töten?«
» Die Liebe zwischen Frauen wird eher toleriert als die zwischen Männern«, gab Bert zu bedenken.
» Mir gefällt die Vorstellung ja auch, dass Frauen miteinander…«
Bert durchbohrte ihn mit einem nicht ganz ernst gemeinten strengen Blick.
» Ist ja gut.« Rick putzte sich geräuschvoll die Nase.
» Sprechen wir von einem männlichen Täter?«, fragte Bert.
» Nicht unbedingt. Vom rein Körperlichen her müssten wir auch eine große, kräftige Frau in Erwägung ziehen. Was jedoch die psychologische Seite angeht– warum sollte eine Frau homosexuelle Männer töten?«
»
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