Spieglein, Spieglein an der Wand
in die Hüfte stemmen: „Arendse, dieses Benehmen können wir nicht akzeptieren!“
„Jetzt lass mich endlich in Ruhe!“
„Du verlässt einfach die Feier, ohne jemandem von uns Bescheid zu sagen. Wir haben uns große Sorgen gemacht.“
„Ihr habt doch nicht mal nach mir gesucht.“
„Weil Kassandra der Meinung war, du wärst schon ins Bett gegangen.“
„Das war ich doch auch!“
Ja, mit mir, aber das sollten wir wohl besser nicht verraten. Wenn diese Mutter sich so darüber ereifern kann, dass ihre sechzehnjährige Tochter zwei Gläser Wein trinkt, dann wage ich gar nicht daran zu denken, wie sie auf mich reagieren würde. Vielleicht erwartet diese Familie, dass ihre Töchter bis zur Hochzeit keusch bleiben. Oder zumindest, bis sie einen blonden Jüngling vom Typ Reederei-Erbe wie Ulrik gefunden haben.
„Es ist deinem Onkel gegenüber sehr unhöflich, einfach so sein Fest zu verlassen.“
„Das ist dem doch wohl egal.“
„Nein, ist es nicht.“ Kurze Pause. Anscheinend bereut dieMutter ihre strengen Worte ein bisschen. Der Hände-in-den-Hüften-Tonfall verschwindet aus ihrer Stimme: „Wir machen uns doch nur Sorgen, wenn du einfach so gehst, bevor das Essen überhaupt beendet ist.“
Die Mutter setzt sich auf das Bett, wodurch der Lattenrost brutal gegen meine Schulter drückt. Jetzt zeigen die schwarz-weißen Schuhe in Richtung Nachttisch.
Und dort liegt ein benutztes Kondom auf dem Boden!!!
Jesus Christus und alle seine Jünger, das hatte ich völlig vergessen. Es muss unter der Cognacflasche gelegen haben. In meinem Eifer, den Beweis für die Trunkenheit verschwinden zu lassen, habe ich den Beweis für die „Hurerei“ offengelegt.
„Johannes hat sich richtig gefreut, dich und Kassandra zu sehen. Er findet, dass immer viel zu viel Zeit zwischen unseren Treffen vergeht.“
Das kranke Handgelenk muss wieder ran. Wie eine blass-weiße Spinne krabbeln meine Finger über den Boden zu dem Kondom hinüber. Offenbar war ich geistesgegenwärtig genug gewesen, es zu verknoten, hatte es dann aber einfach auf die Erde geworfen.
Na toll, Mateus. Da liegst du halb nackt unter dem Bett und versuchst dein eigenes, benutztes Kondom verschwinden zu lassen. Das hat wirklich Klasse.
„Weißt du, was Johannes zu mir gesagt hat, mein Schatz?“
Abweisendes Brummeln von Arendse, die sich im Bett herumdreht. Ich bekomme das Kondom zu fassen und ziehe es unter das Bett.
„Kannst du dich daran erinnern, dass er bei Kassandras Konfirmation die ganzen Reden koordiniert hat? Er freut sich sehr darauf, im nächsten Jahr bei dir dasselbe tun zu dürfen, sagt er.“
Konfirmation? Nächstes Jahr? Ist Arendses Familie in irgendeiner religiösen Sekte, in der man erst mit siebzehn konfirmiert wird?
„Also sei doch so nett und komm jetzt nach unten und bedanke dich schön für den gestrigen Abend. Und du brauchst gar nicht so zu schmollen.“
Mit diesen Worten geht Arendses Mutter. Ihre Tochter springt aus dem Bett und schließt die Tür hinter ihr ab. Dann rennt sie zurück und wirft sich auf den Boden: „Du musst sofort verschwinden! Meine Schwester taucht bestimmt auch gleich noch auf.“
Ich rolle mich mit einem gebrauchten Kondom in der einen Hand und einer leeren Flasche in der anderen unter dem Bett hervor. Beides landet im Papierkorb. Auf dem Tisch zwischen den beiden Stühlen liegt ein Block mit dem Logo des Hotels. Ich reiße ein paar Seiten ab, knülle sie panisch zusammen und bedecke die Flasche und das Kondom damit. Verberge die Spuren.
„Was hat deine Mutter da gerade erzählt? Von einer Konfirmation?“
„Nichts! Du musst jetzt gehen!“
„Wie alt bist du?“
Inzwischen ist es taghell, ich bin nüchtern und Arendses starkes Make-up hat sich im Laufe der Nacht verflüchtigt. All das hilft mir, zu erkennen, was ich gestern nicht gesehen habe: dass sie auf keinen Fall sechzehn sein kann. Sie verschränkt ihre Arme über Brüsten, die so klein sind, dass sie kaum existieren. Das schwarze Haar fällt über kindlich runde Wangen.
„Wie alt bist du?!“, brülle ich. „Du kannst es mir genauso gut gleich sagen, sonst frage ich deinen Onkel!“
„Pssst!“
„Du bist noch gar nicht in der Oberstufe, oder?“
Beschämt schüttelt sie den Kopf.
„Wie alt bist du?“
„Dreizehn. Ich gehe in die Siebte.“
Mir wird erneut übel. Ich ziehe mir mein T-Shirt über den Kopf, aber dabei wird mir schwindelig, und ich muss mich hinsetzen und meinen Kopf mit den Händen abstützen.
„Du hast
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