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Spieglein, Spieglein an der Wand

Spieglein, Spieglein an der Wand

Titel: Spieglein, Spieglein an der Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ina Bruhn
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der Einzige in unserer Klasse, der so viel Text auswendig lernen konnte, aber er bekam die Hauptrolle nicht allein aus diesem Grund. Jonathan war ein echter Held. Er war Robin Hood, und wir waren seine tollkühnen Gesellen.
    Jonathan will mich einfach nicht mehr loslassen. Eine Stunde später bekomme ich zum ersten Mal nach langer Zeit wieder eine Nachricht von Ikarus.
    Jonathan war in der Szene unterwegs. Er kannte den Engel.
    Lange starre ich seine Mail an, aber sie wird dadurch wederausführlicher noch leichter verständlich. Aus Erfahrung weiß ich, dass man Ikarus nicht um weiterführende Erläuterungen bitten darf, denn er oder sie antwortet nie.
    Wer ist der Engel?
    Der Engel …
    Angel …
    Mir dämmert etwas.
    Es war unser erster Schultag in der Oberstufe. Eigentlich waren Nick und ich gerade nicht gut auf Jonathan zu sprechen, aber wir fuhren trotzdem zu ihm nach Hause. Wir wollten eine Erklärung dafür haben, warum er doch nicht aufs Gymnasium gehen wollte. Die Erklärung bekamen wir nie ganz, aber es gelang uns, seine Sachen zu durchwühlen, als er gerade für einen Moment in der Küche war. Zwischen seinen Papieren auf dem Schreibtisch lag etwas …
    Ich muss sofort zu Nick.
    „Wo willst du hin?“
    Mein Vater versperrt mir den Ausgang. Er hat immer noch das Fotoalbum unter dem Arm.
    „Ich muss kurz zu Nick rüber.“
    „Jetzt?“ Mein Vater sieht auf die Uhr. „Ich fange gleich an zu kochen.“
    „Kochen?“
    „Hast du das etwa vergessen?“
    Anscheinend vergesse ich alles: Robin Hood in der dritten Klasse, einen Engel auf Jonathans Schreibtisch und dann die Verabredung mit meinem Vater heute Abend. Wir wollten Steaks essen und einen alten, italienischen Film sehen, von dem er schon seit Jahren schwärmt und den er jetzt endlich auf DVD gefunden hat.
    „Ich rechne damit, dass wir so in einer Stunde essen können?“
    „Das können wir ja auch“, antworte ich und ziehe meine Jacke über.
    „Und trotzdem willst du jetzt zu Nick?“
    „Das dauert nicht lange. Ich muss nur kurz was nachprüfen.“
    „Kannst du ihn denn nicht anrufen?“
    „Papa, verdammt noch mal …“
    Die Enttäuschung zeigt sich dieser Tage oft im Gesicht meines Vaters. Auch jetzt sieht er mich verletzt an und schlurft ins Wohnzimmer.
    Ich versuche es mit einem Trostpflaster: „Ich bin spätestens um halb acht wieder da.“
    Keine Antwort. Sicher weiß er, dass ich in Wirklichkeit nicht vorhabe, um halb acht zu Steaks und Filmabend aufzutauchen. Das Ganze war so oder so von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Die Stimmung in diesem Haus lädt nicht zu gemütlichen Abenden ein.
    Nick besitzt einen Schuhkarton voll mit Papieren, die Jonathan hinterließ. Ich darf sie durchwühlen, während Nick nervös durchs Zimmer tigert.
    „Hier! Das ist er!“
    Es handelt sich um einen rosa Flyer. Mit geschwungenen Buchstaben steht fast quer über die ganze Seite Angel Party und darunter, in etwas kleineren Lettern No. 3! Auf der anderen Seite steht das Datum: der März vor zwei Jahren.
    „ Angel Party Nummer drei“, sagt Nick. „Das könnte durchaus eine Veranstaltung für Schwule sein. Und der Flyer ist rosa …“
    „Ja, verdammt!“
    „Was?“
    „Ikarus schreibt, dass Jonathan ‚in der Szene unterwegs war‘. Er meint die Schwulenszene!“
    „Das ist doch Quatsch. Jonathan stand doch nicht auf Jungs.“
    „Deshalb kann er doch trotzdem auf dieser Party gewesen sein.“
    Nick zuckt mit den Schultern und wirft sich aufs Bett. Ich rechne damit, dass er eine Idee hat, was wir jetzt tun sollen, aber er sagt nichts.
    „Wir müssen rausfinden, wer der Engel ist“, schlage ich vor.
    „Warum das?“
    „Na, weil Jonathan ihn kannte!“
    „Das hat einzig und allein Ikarus behauptet, und auf den ist bekanntlich kein Verlass.“
    „Jonathan hat diesen Flyer bis September aufgehoben, obwohl die Party im März stattgefunden hatte. Warum versteckte er ihn? Er muss ja wichtig für ihn gewesen sein.“
    „Oder er hat einfach nur vergessen, ihn wegzuwerfen.“
    „Aber die Chance, dass er bei dieser Party war, ist doch schon ziemlich groß, oder? Wenn dieser Engel eine echte Person ist, kann Jonathan ihn tatsächlich getroffen haben.“
    Nick wirkt uninteressiert. „Vielleicht.“
    „Rasmus und Juliane sind heute Abend im Close . Wir könnten sie fragen, ob sie was über diese Angel Partys wissen.“
    „Wenn, dann musst du sie fragen. Sind ja deine Freunde.“
    Er klingt eifersüchtig, ist es aber sicher nicht. Nick ist eigentlich

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