Spieglein, Spieglein an der Wand
Musst ausgerechnet du dabei sein?“
„Ich finde die aber auch ziemlich gut.“
„Wen?“
„Na, die Band.“
„Wie heißen die denn?“
„Die … äh … Shakers .“
„Von denen habe ich noch nie was gehört.“
„Wahrscheinlich sind sie hier in Rungsted verboten.“
Plötzlich wirft meine Mutter das Messer mit einer hitzigen Bewegung von sich. Es landet scheppernd in der großen Stahlspüle. Ich gehe drei Schritte zurück, bin aber bei Weitem noch nicht außerhalb der Gefahrenzone.
„Warum bist du nur so?“
„Wie denn?“
„Ehrlich gesagt finde ich, du benimmst dich wie ein verwöhntes Gör. Du bist Johannes gegenüber völlig trotzig. Du WILLST ihn gar nicht kennenlernen, oder?“
„Nein, ich kann den Sinn darin einfach nicht sehen!“
„Ich werde ihn heiraten!“
„In Ordnung, aber deswegen muss er noch lange nicht mein bester Freund werden.“
„Du willst Johannes aus irgendeiner missverstandenen Loyalität gegenüber deinem Vater nicht kennenlernen. Aber wir waren uns wirklich einig über die Scheidung und auch beide dafür verantwortlich, dass es so weit kam. Wir haben uns eben einfach auseinandergelebt.“
„Ich habe keine Lust, mir das anzuhören.“
Das habe ich schon oft gesagt. Den Verfall ihrer Beziehungmüssen sie mit sich oder ihren Freunden diskutieren. Ich will es weder hören noch in die Diskussion hineingezogen werden.
„Aha, du willst es dir also nicht anhören. Aber das wirst du ab sofort müssen. Jedenfalls so lange, wie du mich zum alleinigen Bösewicht erklärst.“
„Du tust dir also selbst leid, was?“ Ich mache eine Armbewegung, die den Rest des Hauses einschließen soll. „Du musst dich neuerdings aber auch wirklich ganz schön einschränken, das sehe ich schon.“
Ich bin mir sicher, dass sie kurz davor ist, mich zu schlagen. Ihre Augen sagen es mir. Dann dreht sie sich um und schüttet den Rest der Karotten in den Topf, stellt ihn auf eine der sechs Gasflammen des riesigen Herds und stellt das Gas an. Ich kann mir nicht vorstellen, welches Rezept mit fünfzehn gekochten und zur Unkenntlichkeit zerhackten Mohrrüben beginnt, aber vielleicht sind die beiden gerade auf irgendeinem speziellen Gesundheitstrip.
In der Küche ist es sehr still. Wie im ganzen übrigen Haus. Wie in ganz Rungsted. Nicht mal ein Rasenmäher oder ein Frühjahrsvogel unterbrechen die Stille. Meine Mutter öffnet den Kühlschrank und holt eine Flasche Weißwein heraus. Sie öffnet sie und nimmt demonstrativ nur ein Glas aus dem Schrank. Vielleicht erwartet sie eine Entschuldigung oder ein Versprechen, dass ich mich bessern werde; vielleicht auch nur eine Zusage zur Hochzeit.
Ich gehe in den Flur und ziehe meine Jacke an. Der Regen hämmert auf das Dach.
„Ich erkenne dich überhaupt nicht wieder.“ Meine Mutter ist mir gefolgt und steht in der Küchentür. Mit dem Weißweinglas in der Hand. Vielleicht wird sie auch eine von jenen Vorstadtfrauen, die zu viel Zeit und zu viel Geld haben. Ihren Gin in einerWasserflasche mit auf den Golfplatz nehmen. Nur einen kleinen Schluck, um ihnen den schlimmsten Druck zu nehmen. Es ist schon hart, wenn man alles hat.
„Du siehst schon genauso aus wie all die anderen Oberklassefrauen hier. Wie du redest, deine Klamotten, deine Frisur …“
„Es scheint ja vieles zu geben, womit du nicht zufrieden bist.“
Ich habe sie noch nie so verletzt erlebt. Trotzdem mache ich weiter. „Du hast dich doch nur in irgendeine kranke Schablone pressen lassen.“
„Ich habe mich weiterentwickelt.“
„Na toll!“
„Jeder Mensch hat das Recht, sich zu verändern. Es tut mir leid, dass es dir so schwerfällt, das zu akzeptieren, aber selbst deine Eltern haben das Recht, in ihrem Leben weiterzukommen.“
„Darum geht es doch gar nicht!“
„Doch, genau darum. Du kannst es nicht ausstehen, wenn Menschen sich verändern. Das konntest du noch nie. Deshalb ging es dir damals ja auch so schlecht, als Jonathan …“
Ich glaube, dass sie „verschwunden ist“ sagen will. Woraufhin ich sagen werde, dass das in eine etwas andere Kategorie fällt als ihr neues Golferleben.
Aber sie sagt etwas anderes.
„… dir plötzlich so weit voraus war. Ende der achten Klasse.“
Er war innerhalb eines Jahres zwanzig Zentimeter gewachsen, wurde zum Liebling aller Mädchen und konnte auf einmal alles, sogar die Bestnoten unserer Klassenstufe einheimsen.
„Es war schwer für dich, dass Jonathan sich so schnell entwickelt hatte, und es gab ein paar Monate, in
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