Spiel, bis du stirbst (Samantha Veselkova Krimi) (German Edition)
Renntrainings teil. Ihre Reaktionsfähigkeit war nicht nur vom Motorradfahren, sondern vielmehr durch den Kampfsport trainiert. Und doch wusste sie, dass es sie jederzeit erwischen konnte. Eine Ölspur in der Kurve. Ein plötzlicher Wildwechsel. Ein Auto auf der Autobahn, dessen Fahrer unaufmerksam war, sie nicht sah, die Spur wechselte und sie dabei umrammte. Es gab tausend Szenarien. Dabei war ihr Fahrstil eigentlich weniger relevant. Ob es sie mit hundertsiebzig oder zweihundertfünfzig erwischte, machte keinen großen Unterschied mehr. Und trotzdem fuhr sie weiter. Motorradfahren war für sie eine regelrechte Sucht. Entgegen ihrer sonst sehr berechnenden Art ließ sie sich hierbei intuitiv von ihrem Bauch leiten. Dabei konnte sie ihr wirkliches Ich herauslassen. Die kalte, nüchterne Sam war sie immer, wenn es um geschäftliche Dinge oder um den Schutz ihrer Seele ging.
Nach einigen Kurven kamen die beiden Motorräder zeitgleich am Ende der Straße an, die direkt auf die Spitzkehre der Zufahrtsstraße zum Feldberg traf. Ab hier hielt sich der Suzukifahrer zurück und fuhr das letzte Stück gemächlich. Als sie wenig später den höchsten Punkt im Taunus befuhren, ging es vorbei an endlosen Reihen geparkter Motorräder. Hier trafen sich an den Wochenenden zahlreiche Biker des Rhein-Main-Gebietes.
Dicht hintereinander fuhren sie in den Wendehammer und kamen kurz darauf zum Stehen. Vor ihnen blockierte ein Bus die Fahrbahn, der es schwer hatte, durch den engen Halbkreis zu fahren, denn auch hier waren beide Seiten mit großen und kleinen Maschinen gesäumt.
Irgendetwas zwang Sam dazu, sich umzudrehen. Sie meinte, einen Blick von der anderen Seite zu spüren. Als sie sich nach rechts wandte, blickte sie in zwei strahlende Augen. Es waren freundliche, lachende Augen.
„Du hast 'n coolen Fahrstil, Junge“, drang eine warme Stimme aus dem Helm, den sie noch immer als äußerst unpassend empfand.
Er hatte also vorhin noch nicht erkannt, dass sie eine Frau war. Scheinbar interpretierte er in ihre weichen Gesichtszüge einen noch sehr jungen Mann hinein.
Sie konnte es sich nicht verkneifen ihm zuzurufen: "Du auch, Mädchen!"
Einen Moment lang erstarrte das Gesicht zu einem manifestierten Staunen, welches es Sam schwer machte, nicht laut loszulachen. Keine Sekunde drauf änderte sich die Mimik wieder. Die Augen wurden plötzlich von zahlreichen kleinen Fältchen gerahmt, und ein herzhaftes Lachen scholl ihr entgegen. Jetzt konnte sie sich auch nicht mehr halten und lachte ebenso herzhaft mit. Dann nahmen beide gleichzeitig wahr, dass es der Bus geschafft hatte, das Nadelöhr zu passieren. Ein metallisches Klacken von Sams rechter Seite, als der Mann den Gang einlegte. Dann fuhren sie gemeinsam los. Eine Minute später standen die beiden Motorräder nebeneinander, dort, wo kurz zuvor noch zwei Chopper gestanden hatten. Sie stiegen ab und zogen sich die Helme von den Köpfen.
Sam überlegte, dass sie die grundlegendste Regel gebrochen hatte, die sie sich für Observierungsobjekte auferlegt hatte: keinen direkten Kontakt. Das gab es eigentlich nur bei richtigen Undercover Ermittlungen. ‚Die Ausnahme bestätigt die Regel‘, dachte sie, ‚und wenn die Regel ausbleibt, dann bin ich schwanger.‘
„Das haut mich ja echt von den Socken“, sagte der Mann lachend, während er seine langen, leicht welligen Haare mit einem Kopfschütteln auflockerte. „Ich habe noch nie eine Frau so fahren sehen.“
Sie grinste ihn provozierend an und antwortete: „Wenn du mich abhängen willst, musst du schon etwas mehr geben.“
Jetzt lachte er noch mehr, nicht überheblich, sondern einfach erheitert. "Da geht nicht mehr viel. In der einen Kurve war ich am Anschlag."
Sein freundlicher, offener Blick irritierte sie. Er machte den Eindruck eines Engels, der einfach nur nett war, und dem es scheinbar nicht das Geringste ausmachte, dass eine Frau ihm im Motorradfahren mindestens ebenbürtig war. Und dahinter verbarg sich ein mutmaßlicher Fremdgänger.
Sam hatte ein ganz besonderes Verhältnis zum Fremdgehen. Der überwiegende Teil der Kundschaft ihres Erstgewerbes betrog seine Partnerin. Sie hatten ein Defizit an etwas, das sie zuhause niemals bekommen würden. Aber die Kunden investierten dabei keine Gefühle. Sie bezahlten nicht dafür, dass sie kommen konnten, sondern dafür, dass sie wieder gehen durften. Keine Verpflichtung, niemand, der sich in die eigentliche Beziehung drängte, keine nervtötende Freundin, um die man sich
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