Spiel, bis du stirbst (Samantha Veselkova Krimi) (German Edition)
Zielfahrzeug auf der linken stand. In Höhe des Mercedes’ überquerte sie die Straße und tat gleichzeitig so, als sei ihr Telefonat beendet. Als sie das Handy einstecken wollte, fiel es ihr zu Boden. Es schlug auf, und wie zufällig erwischte Sam es noch mit dem Fuß. Dadurch rutschte es wenige Zentimeter unters Auto, wo es liegen blieb. Mit einer schnellen Bewegung bückte Sam sich, griff unter den Mercedes, befestigte den Magneten mitsamt Sender, und holte das Handy hervor. Das alles ging so schnell, dass selbst ein aufmerksamer Beobachter bei den Lichtverhältnissen der Nacht nicht vermutet hätte, dass Sam dort mehr getan hatte, als ihr Telefon aufzuheben. Sie ging um das Auto herum auf den Gehweg und lief weiter. Bald war sie wieder an ihrem eigenen Wagen und setzte sich hinein.
Ein Blick auf die Uhr. Es war vier Uhr dreißig. In etwa drei Stunden würde Herr Pranger losfahren. Dafür lohnte es sich kaum, noch einmal nach Hause zu fahren. Sie startete den Motor und fuhr in die Ubierstraße. Dort stellte sie sich hinter den dunklen BMW. Den Platz hatte sie sich bereits bei ihrem ersten Gang durch die Straße ausgesucht. Herrn Pranger würde sie dort nicht auffallen. Wenn andere Leute sich Gedanken machen würden, warum eine Frau dort nachts in ihrem Auto saß, war es ihr ziemlich egal, solange niemand die Polizei rief. Aber warum sollte das jemand tun? Sie saß ja einfach nur in ihrem Peugeot und tat nichts.
Im Wagen stellte sie den Wecker ihres Handys auf Viertel vor sieben und die Rückenlehne ihres Sitzes weiter runter. Dann schaltete sie das Autoradio ein und betätigte den kleinen Schalter neben dem Gerät. Marc, ein guter Freund von Jan, der sich irrsinnig gut mit Elektronik und Elektrotechnik auskannte, hatte in akribischer Kleinstarbeit sämtliche Leuchtmittel in ihrem Radio vom normalen Stromkreis des Gerätes getrennt und mit diesem Schalter verbunden. So konnte sie Radio oder CD hören, ohne das man von außen ein Licht sah. Zum Bedienen musste sie die Beleuchtung immer einschalten, denn mit dem Trennen der Lichtstromzufuhr erlosch auch das Display.
Um das Beschlagen der Scheiben zu verhindern, öffnete sie ihr Fenster einen Spalt. Die kühle Septemberluft ließ sie frösteln. Aber sie war gut vorbereitet. Von hinten holte sie eine warme Wolldecke und kuschelte sich hinein.
Auf die leise Musik von Silbermond lauschend, versuchte sie zu schlafen. Es gelang ihr nicht. Sie dachte an Michael Höppel. Ob er es sich einrichten würde, am Samstag Motorrad zu fahren? Vielleicht hatte er ihr ja eine Nachricht hinterlassen. Da sie ohnehin nicht schlafen konnte, legte sie die andere SIM-Karte ins Handy und rief die Mailbox an. Warum gab es eigentlich keine Handys, die mit drei SIM-Karten funktionierten? Das hätte ihr Leben etwas einfacher gemacht. Es gab keine neue Nachricht. Dafür kam eine SMS herein:
hi. samstag geht leider nicht. lg micha
Irgendwie fühlte Sam sich plötzlich traurig, ohne es begründen zu können. Dann fuhren sie eben am Sonntag. Oder am nächsten Wochenende. Oder sonst irgendwann.
Sie wechselte erneut die SIM-Karte, versicherte sich, dass der Wecker ordnungsgemäß gestellt war, und versuchte erneut zu schlafen. Nach zehn Minuten gab sie es auf und sah sich nach einer Beschäftigung um. Bei einem Blick nach hinten sah sie, dass hinter dem Beifahrersitz noch ein paar alte Zeitungen lagen. Sie griff sich die oberste, testete, ob das Licht der Straßenlaternen zum Lesen ausreichte, befand es für genügend, und begann wahllos einen Artikel zu lesen. Danach blätterte sie unmotiviert in der Zeitung herum, bis ihr Blick von der Überschrift eines kleinen Artikels gefangen gehalten wurde.
Unbekannte Ausländerin vom Bus überfahren
In dem Artikel stand, dass am Nachmittag des fünfzehnten Aprils auf einer Landstraße im Taunus eine Frau aus dem Wald heraus direkt vor einen Reisebus gesprungen war. Ein Bild im Passfotoformat zeigte die Tote: eine hübsche Frau, die Sam auf knapp dreißig schätzte. Im Artikel stand nichts über die Landeszugehörigkeit, aber die Detektivin hätte sie instinktiv als südländischen Typ eingestuft. Ganz offensichtlich hatte es sich um einen Unfall gehandelt. Was Sam allerdings stutzig machte, war die Tatsache, dass nach sachdienlichen Hinweisen zur Identität der Frau gefragt wurde. Es war fast wie ein Déjà-vu, nur dass diesmal nicht Deborahs Bild in der Zeitung zu sehen war, sondern ein anderes. Aufmerksam las Sam den Artikel
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