Spiel der Angst (German Edition)
nicht so hoch«, sagte Julia und stocherte mit dem Löffel in ihrem Kaffee. »Die dürfen doch sogar nur dreißig Meter hoch sein, da sonst die Radarwellen aufgehalten werden. Habe ich mal irgendwo gehört.«
»Also irgendetwas Höheres?«
Julia machte eine weit ausholende Geste. »Hier ist doch eigentlich alles hoch. Bis auf den Central Park.«
Emily kaute auf ihrer Lippe. »Das stimmt. Dann vielleicht ein Hochhaus, das einer Fluggesellschaft gehört.«
Julia griff wieder nach dem Smartphone. »Was haben wir denn hier?«
Sie scrollten durch diverse Treffer und Seiten.
»Fluggesellschaften in den USA, in New York. United Airlines, American Airlines, Southwest Airlines …«
Dann blieb ihr Blick haften.
»Na so was!«, rief sie aus.
Emily rückte näher heran.
»Ich glaube, ich hab hier was. PanAm«, sagte Julia. »Pan American Airlines, 1927 gegründet, war die erste amerikanische interkontinentale Airline, ab 1935 traten sie den ersten amerikanischen Transpazifik-Flug zu den Philippinen an. Der kostete sechshundert Dollar. Das war so viel, wie damals ein Ford Modell T kostete.«
Emily hob die Augenbrauen. »Also ein Flug kostete so viel wie ein Auto?«
»Ja, kann man sich heute bei all den EasyJets und Ryanairs gar nicht mehr vorstellen.«
»Wieso eigentlich PanAm?«, fragte Emily dann.
»Pan heißt ganz . Pan Am heißt Pan American . Ganz Amerika , so wie das Pantheon in Rom. Pan Theon heißt alle Götter. Als sich PanAm 1927 formierte, steht hier«, fuhr Julia fort, »war Charles Lindbergh, der gerade von seinem Flug über den Atlantik zurückgekehrt war, einer der Streckenberater.«
»Interessant«, sagte Emily. »Und wer hat da nun den Himmel verdunkelt?«
»Tatsächlich«, sagte Julia. »Hier steht’s: 1963 wurde das PanAm Building errichtet. Es versperrte den Weg auf die Park Avenue und ließ den Bahnhof wie eine Miniatur erscheinen. Überall regte sich Widerstand.«
»Ist das an der Grand Central Station?«, fragte Emily. »Ich glaube, dann habe ich es schon einmal gesehen.«
Julia nickte. »Und jetzt pass auf!«, las sie weiter. »Es galt als paradox, dass der Blick auf den Himmel über New York von einer Firma verstellt wurde, die Millionen Reisenden diesen Himmel erst erschlossen hatte.«
AUCH IN BABYLON WOLLTE MAN DEN HIMMEL EROBERN. MIT EINEM TURM, DER DEN HIMMEL VERDUNKELT.
GEHT AUCH IHR ZU DEM GEBÄUDE VON DENEN, DIE DEN HIMMEL VERDUNKELT HABEN. OBWOHL SIE IHN EROBERN WOLLTEN.
»Dann ist es das Gebäude!«
»1981 kaufte es die Metropolitan Life Insurance«, las Julia weiter vor, »abgekürzt MetLife . Und so heißt jetzt auch das Gebäude. MetLife Building. Am Ende der Park Avenue, Richtung Grand Central Station.«
Emily trank ihren Latte macchiato aus. »Also los!«
Beide eilten die Treppen hinunter.
Das ganze Rätselraten hatte Emily von ihrer Sorge um Ryan kurzzeitig abgelenkt. Doch nun wurde sie von dem ganzen Schrecken erneut überwältigt. Ryan war entführt.
Es war nicht nur der Himmel über New York, es war ihr eigener Himmel, der verdunkelt worden war.
51
Als es 1963 gebaut wurde, war das damalige PanAm Building das größte Geschäftsgebäude der Welt. Auch das heutige MetLife Building war so riesig und dabei nicht nur hoch, sondern auch so breit, dass es in der Tat noch immer den Himmel verdunkelte.
Früher hoben sich die Figuren, die am Grand Central Terminal standen, dem riesigen Bahnhof, gegen den Himmel ab. Doch heute waren sie nicht mehr zu sehen.
Absurd, dachte Emily, der Blick auf den Himmel wurde ausgerechnet von der Firma verwehrt, die den Himmel erschließen wollte.
»Kennst du den Film Knowing ?«, fragte Julia.
»Der mit Nicholas Cage, wo am Ende die Erde wegen irgendwelcher Sonnenstrahlen geröstet wird.«
»Genau.« Sie blickte nach oben. »Wenn mich nicht alles täuscht, wird dieses Gebäude am Ende besonders prominent zerstört.«
»Tja, New York muss halt immer dran glauben.«
Sie betraten die Lobby.
Kühle Luft aus den Klimaanlagen umwehte die beiden. Gläserne Aufzüge fuhren in die Höhe, und vor ihnen saß ein Mann vom Sicherheitsdienst an seinem Pult. Emily und Julia blickten sich unbehaglich um.
»Und jetzt?«, fragte Julia.
Emily schaute nach oben. »Ich weiß auch nicht. Eigentlich müsste doch irgendetwas passieren.«
»Es passiert aber nichts.«
Sie merkten, wie der Sicherheitsbeamte neugierig und abwartend in ihre Richtung schaute. Wohl zwei Touristen, die nicht wissen, wo sie hinwollen, dachte er sicherlich.
Das vertraute
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