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Spiel der Angst (German Edition)

Spiel der Angst (German Edition)

Titel: Spiel der Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Etzold
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konnte die Buchstaben lesen, obwohl sie auf dem Kopf standen.
    Emily merkte, wie ihr der kalte Schweiß ausbrach und ihr Herz hämmernd gegen den Brustkorb schlug. Manchmal konnten Namen etwas Unheimliches haben, wenn sie in einem Umfeld auftauchten, in das sie nicht gehörten. Ein Gegensatz wie Tag und Nacht. Himmel und Hölle. Leben und Tod.
    Es war keine seltsame Mütze, die Lisa trug. Keine seltsame Frisur, die man im Gegenlicht der Sonne für ein missglücktes Modeexperiment hätte halten können.
    Es war eine Tüte.
    Eine Tüte, die auf Lisas Kopf steckte.
    Und auf der das Wort Fashion Shop gedruckt war.
    Verkehrt herum. Weil diese Tüte eigentlich dafür gedacht war, in der Hand getragen zu werden. Dann sah man die Schrift so, wie man sie sehen sollte. Wurde sie allerdings jemandem über den Kopf gestülpt, dann sah man die Schrift verkehrt herum.
    Fashion Shop.
    Die Tüte ging bis hinunter zu Lisas Hals. Und war dort mit Klebeband befestigt.
    »Lisa!«, rief Emily.
    Erst schreckte sie davor zurück, sie anzufassen, doch dann griff sie Lisas Schulter, schüttelte sie.
    Es war, als würde man einen Sandsack schütteln.
    Dann sackte ihre Freundin nach vorn, und ihr Kopf mit der Tüte knallte auf den Tisch.
    »Lisa!«
    Nichts.
    Auch Julia wurde blass.
    »Emily, vielleicht ist sie …«
    Fashion Shop.
    Die Schrift schoss Emily in höhnischer Deutlichkeit ins Auge. Und jetzt wusste sie, warum sie Lisa eben nicht anfassen wollte.
    »Vielleicht ist sie…«, hatte Julia begonnen.
    Eine Tüte über dem Kopf. Unten abgeklebt. War sie erstickt? Aber wie konnte das geschehen? Warum hatte sie sich nicht gewehrt? Sie war nicht gefesselt. Und wieso hatte sie niemand entdeckt? War das der Preis dafür, dass sie sich immer den hinteren, abgelegenen Teil der Bibliothek ausgesucht hatte? Und dies war ihr nun zum Verhängnis geworden? War dies nur ein makabrer Scherz? Würde sie gleich wieder aufwachen, ihren Laptop zuklappen und mit ihnen ins Café gehen?
    »Ich checke den Puls«, sagte Julia.
    Vielleicht ist sie …
    Julia fühlte den Puls. Und ihr Gesicht verfinsterte sich.
    »Scheiße«, sagte sie, und ihre Mundwinkel zuckten herunter. »Wir brauchen einen Notarzt. Sofort!«
    »Was ist mit ihr?«, fragte Emily tonlos, und es war ihr, als würde sie sich von oben betrachten, als würde jemand anders statt ihrer sprechen.
    »Ich fürchte …« Julia hielt einen Moment inne. »Ich fürchte, sie ist … tot.«
    Vielleicht ist sie tot …
    Emilys Augen blickten ins Nirgendwo, während die höllischen Worte immer wieder vor ihrem inneren Auge auftauchten.
    Fashion Shop.
    Fashion Shop.
    Fashion Shop.
    Fashion Shop.
    Die Tüte über Lisas Kopf, der aufrechte Körper im Licht der Abendsonne, das Klebeband an ihrem Hals, der Kopf, der auf den Tisch geschlagen war, der Pulsschlag, der nicht da war.
    In diesem Moment erwischte Emily die Erkenntnis wie ein Hammerschlag, und die brutale Wahrheit schoss durch ihr Bewusstsein wie die U-Bahn in London durch den Tunnel, der Jonathan oder seinen Handlanger zerkleinert hatte. Und genau so wie die U-Bahn zermalmte diese Erkenntnis jegliche Hoffnung, jegliche Freude, jegliche Annahme, dass es irgendwann besser werden würde, dass der Schrecken verschwinden würde.
    Ihr Kopf sackte zur Seite.
    Fashion Shop.
    Plötzlich sah sie die Worte so, wie sie sein mussten. Nicht auf dem Kopf. Sondern vom Kopf auf die Füße gestellt.
    Das merkte sie noch, merkte, wie das teuflische Logo zusammen mit dieser Installation des Grauens das Letzte war, was sich in ihr Bewusstsein brannte.
    Dann sackte sie zu Boden und brach bewusstlos zusammen.

54
    Mene, Mene, Tekel, U-Parsin, dachte er, während er aus dem Fenster des Wolkenkratzers blickte. Im Nebenraum war Ryan, der für ihn die Moderation übernommen hatte. Schon sehr bald würde er Emily ein paar neue Aufträge überbringen.
    Mene, Mene, Tekel, U-Parsin.
    Gezählt, gezählt, für zu leicht befunden, den Persern übergeben.
    Noch heute stand das Wort »Menetekel« für eine unheilvolle Warnung und für ein Omen drohender Gefahr.
    Gott hatte das babylonische Großreich gewogen und für zu leicht befunden.
    Schauen wir doch einmal, ob Emily ohne ihre allwissende Gehilfin auch noch ihre Rätsel lösen kann, oder ob sie Gefahr läuft, ebenfalls gewogen und für zu leicht befunden zu werden.
    Allein hätte sie viele Rätsel nicht gelöst.
    Und wäre schon viel schneller gescheitert.
    Doch dafür kam das Scheitern jetzt wie ein Hammerschlag.
    Wie ein Schnellzug,

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