Spiel der Angst (German Edition)
»Was habt ihr denn an Infos bekommen?«
»Das hier.«
Julia zeigte ihr den letzten Satz auf dem Brief. Emily zuckte kurz zusammen, doch was sollte eigentlich passieren? Die Frau würde wohl kaum mit Jonathan zusammenarbeiten, und falls doch, dann wäre es nicht das erste Mal, dass dieser Irre überall seine Finger im Spiel hatte. Und abgesehen davon war das Emily mittlerweile auch herzlich egal.
UND ICH BEFEHLE EUCH, DORTHIN ZU GEHEN, WO DIE BRUDERSCHAFT DER SCHLANGE HERKOMMT. ZU IHREM BERG. NACH SÜDOSTEN.
»Ist das ein Restaurant oder ein Museum?« Tammy schob ihr Kaugummi von einer Backentasche in die andere und schaute abwechselnd den Text und Julia an.
»Tja, das wissen wir auch nicht genau, es sind immer andere Locations, die die sich ausdenken.« Emily war beeindruckt, wie schnell Julia irgendwelche Sachverhalte erfinden konnte. Vielleicht hätte sie eher Jura studieren sollen?
»Südosten hier in New York?«, fragte Tammy.
Emily und Julia schauten sich an.
»Wahrscheinlich.«
»Dann kann das ja nur die Lower East Side sein. Also von der Südspitze Manhattans über den East River rüber nach Red Hook.«
Red Hook, dachte Emily, das klang unheimlich.
Tammy war Emilys Gesichtsausdruck nicht entgangen. »Sie machen sich wahrscheinlich Sorgen, aber da hat sich einiges getan. Ist nicht mehr ganz so abgerissen wie früher. Am besten, Sie nehmen eine Fähre.«
»Und wo müssen wir da genau hin?«
DIE BRUDERSCHAFT DER SCHLANGE. ZU IHREM BERG. NACH SÜDOSTEN.
»Vielleicht gibt es da etwas mit Schlange und Berg?« Julia beugte sich nach vorn.
Tammy schaute in ihrem Verzeichnis nach.
»Kann sein«, sagte sie. »Es gibt hier einen Snake Mountain. Ein ziemlich abgefahrener Club. Gothic, Techno und so was. Soll recht schräg sein. Einlass nur mit Einladung oder bei speziellen Events.« Sie schaute Julia und Emily an. »Das könnte schon passen.«
Snake Mountain, dachte Emily, der Berg der Schlange. Warum nicht?
»Snake Mountain.« Emily und Julia tauschten einen kurzen Blick. »Probieren wir es.«
»Die Fähre fährt alle halbe Stunden vom Battery Park«, sagte Tammy, »das geht am schnellsten.«
»Danke, Miss!« Die beiden machten sich auf den Weg.
63
Die Fahrt mit der Fähre von Battery Part nach Red Hook hatte etwas Magisches. Die Sonne ging über der Freiheitsstatue und New Jersey unter, die Insel Ellis Island, wo die ersten Einwanderer New York erreicht hatten, erhob sich im Abendlicht, und die Gischt des Deltas, wo sich Hudson River und East River vereinten, spritzte bis zu der Reling hinauf, auf der Emily und Julia standen. Sie ließen zur Linken Governor’s Island liegen und nahmen Kurs auf Reed Hook, dessen Kräne und Hafenanlagen sich am Südzipfel Brooklyns in den Abendnebel erhoben.
Und für einen Moment war es Emily, als würde sie mit ihrer besten Freundin Julia eine Fahrt mit der Fähre genießen und als wäre die einzige Sorge, die sie hätte, wo man sich gleich zum Abendessen treffen würde.
Leider war das nicht der Fall.
* * *
Mittlerweile war es dunkel geworden, und die Kräne und Terminals von Red Hook leuchteten in gespenstischem Licht der Hafenanlagen wie die Skelette von mechanischen Sauriern.
Sie liefen vorsichtig die Straße entlang und ärgerten sich über ihr Smartphone, auf dem der Kartendienst mal wieder langsam bis gar nicht funktionierte, bis sie aus einer Ecke wummernde Bässe und laute Technoklänge vernahmen, die hier und da mit harten Metal-Gitarrenriffs unterlegt waren.
Snake Mountain.
Wahrscheinlich waren sie ganz in der Nähe.
Ein massiger Türsteher mit kahlem Schädel, Piercings und Tätowierungen an den Armen rauchte eine Zigarette und musterte sie halb belustigt und halb misstrauisch, als sich die beiden jungen Damen dem Eingang näherten.
»Seid ihr denn schon einundzwanzig?«, wollte er wissen.
»Nein«, sagte Julia als Erste, »und wir wollen auch nichts trinken.«
»Was wollt ihr dann?«
»Wir sollen hierherkommen. Wir sind eingeladen worden?«
»Von wem?«
»Das wissen wir nicht genau.«
Der Mann zog ein letztes Mal an der Zigarette und ließ sie dann demonstrativ zu Boden fallen.
»Das wisst ihr nicht?«
»Nein, aber wir wissen, was dieser Mensch, der uns eingeladen hat, zu uns gesagt hat.« Emily folgte zuerst Julias Blick und betrachtete dann die Zigarette, die noch qualmend am Boden lag.
Der Türsteher zog belustigt die Mundwinkel hoch. »Und, was hat dieser Mensch gesagt?«
Gleich würden sie wissen, ob der Tipp von Tammy stimmte.
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