Spiel der Angst (German Edition)
Freiheitsberaubung.«
Doch irgendwann wurde ihnen klar, dass weder der Besitzer dieses Clubs noch sein Auftraggeber es mit zivilrechtlichen Regeln allzu genau nahmen. Abgesehen davon, dass sie wahrscheinlich ohnehin keiner hörte.
Julia ließ sich an der Wand auf den Boden sinken.
»Also gut«, sagte sie resigniert. »Wir hatten eben zwei Scheißmöglichkeiten: die Tür nach oben und den Gang nach vorn.« Sie schaute Emily an. »Jetzt haben wir nur noch eine.« Sie schaute auf den Gang. »Oder wir rufen Hilfe.«
Emily blickte auf ihr Handy. »Kein Empfang hier unten.«
Julia zuckte mit den Schultern. »Dann kann uns dieser Verrückte wenigstens nicht anrufen oder mit SMS nerven.« Sie stand auf.
Emily entzündete das Feuerzeug, und schon konnten sie wenigstens die nächsten Meter des dunklen Ganges sehen. Doch sie wusste nicht, wie viel Benzin noch in dem Feuerzeug war. Daher wollte sie lieber nicht allzu viel davon verbrauchen.
»Also gehen wir!«
Der Gang war unendlich. Die Dunkelheit war unendlich. Die Stille war unendlich. Und die Angst war unendlich.
Sie gingen, einen Schritt vor dem anderen, Schritte, die sich zehnmal, hundertmal oder vielleicht sogar tausendmal wiederholten – gezählt hatten sie nicht. Und immer wieder fragten sie sich unterwegs, ob sie nicht doch umkehren sollten, wie ein Grabräuber in den Pyramiden, der genau weiß, dass er irgendwann nicht mehr zurückfinden wird, um für immer in einem steinernen Grab zu bleiben.
Bei jedem Geräusch zuckte Emily zusammen, in jedem Moment glaubte sie, sie würde gegen irgendetwas Hartes oder Spitzes laufen, dass sie verletzten oder aufspießen würde. Oder die Decke würde einstürzen und sie beide für immer in einem Grab aus Schwärze und Schweigen vergraben.
Und das Ganze nur mit der Aussicht, vielleicht irgendwann am Ende Ryan zu finden? Und falls Ryan gar nicht da war? Hatten sie dann wieder eine gefährliche, grausame und völlig überflüssige Aufgabe des Irren erfüllt?
Weiter und weiter gingen sie.
Sekunden wurden zu Minuten, Minuten zu Stunden. Und Stunden vielleicht zu Tagen.
Irgendwann hatten sie sich auf den Boden gesetzt. Und es war ihnen, als wären sie in der Dunkelheit eingeschlafen, doch genau wussten sie es nicht. Zu sehr waren in dieser ewigen Finsternis Traum und Wirklichkeit, oder besser Albtraum und Wirklichkeit vereint.
Und irgendwann standen sie wieder auf. Und gingen weiter. In die scheinbar unendliche Dunkelheit, die niemals enden würde. Nach einer Ewigkeit stieg der Boden leicht an. Und irgendwo war Licht zu sehen, wenn auch so schwach, dass Emily nicht wusste, ob das eine Illusion in ihren Träumen oder wirklich Realität war.
Der Aufgang war unendlich. Kein Licht, keine Taschenlampe, keine Hoffnung. Schritt für Schritt konnte man sich nur vorantasten, einen Fuß nach dem anderen. Emily hatte schon lange aufgehört, irgendwelche Stockwerke zu zählen, falls es überhaupt welche gab.
Als sie schon dachten, dass sie im Kreis laufen würden und der Gang nie mehr ein Ende nehmen würde, gelangten sie irgendwann an eine Tür. Und dort ging es wieder nach oben. Eine endlos lange Treppe, wer weiß wie viele Stockwerke hinauf.
65
TAG 9: SONNTAG, 09. SEPTEMBER 2012
Das Feuerzeug war mittlerweile leer.
Oben angekommen fanden sie sich in einer staubigen Lagerhalle wieder. Die Glastür, die nach draußen führte, war halb geöffnet. Geklapper und Stimmen waren von draußen zu hören.
Sie strichen ihre Kleidung glatt und gingen durch die Glastür. Sie waren müde und verschwitzt und froren gleichzeitig, als sie nach einer scheinbar endlosen Reise durch die Unterwelt schließlich irgendwo in Manhattan wieder das Licht der Welt erblickten. Es musste irgendwo an den alten Hafenpiers nahe dem FDR Drive sein. Sie blickten zurück. Konnte das sein?
Auf einem kleinen Hügel sahen sie südlich von sich, weit entfernt, die Hafenanlagen von Red Hook und die Containerterminals. Die Sonne hatte sich längst erhoben, von ruhelosen Wolkenfetzen begleitet, die der Ostwind über den Himmel trieb. Ihr Licht schimmerte auf den Häusern, Containern, Kränen und Terminals.
»Unglaublich«, sagte Julia, »wir sind einmal unter dem East River hindurchgegangen. Es muss einen Gang geben unter dem Fluss!«
Emily konnte noch immer kaum sprechen und starrte auf den vertrauten Anblick von New York, als hätte sie das alles noch niemals gesehen.
»Wie lange sind wir unterwegs gewesen?«
Julia schaute auf die Uhr. »Vielleicht sechzehn
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