Spiel der Angst (German Edition)
wiederzusehen.« Er beugte sich vor. »Dich hoffentlich auch?«
»Geht so«, sagte Emily tonlos.
Julia stand daneben und blickte Emily fassungslos an, so als wollte sie sagen. Den kennst du? Woher? Wovon? Wie?
Solch eine Bekanntschaft hatte sie von Emily, die immer die etwas bravere von ihnen beiden war, nun überhaupt nicht erwartet.
»Ihr sucht jemanden, nehme ich an?« Er grinste.
Emily nickte.
»Und dieser Mensch hört auf den Namen Ryan?«
»Ja.« Es war klar, dass dieser seltsame Kerl hier eingeweiht war.
»Manchmal«, sagte Snake, »muss man sich in die Niederungen begeben, um ganz nach oben zu kommen.« Er machte eine Pause.
»Ihr wisst, wo es jetzt hingeht?«, fragte er dann und schaute sie erwartungsvoll an.
»Du wirst es uns sicher gleich sagen«, sagte Emily abwartend.
Snake zeigte mit dem Daumen zum Boden. »Nach unten«, meinte er dann.
»Also alles wie beim letzten Mal?«, fragte Emily.
»Exakt!«, gab Snake zurück. »Ganz nach unten und dann immer gerade aus.«
Er warf ihnen ein Zippo-Feuerzeug auf den Tresen.
»Das werdet ihr brauchen.«
Sie stiegen nach unten.
Es kam Emily vor wie ein Déjà-vu. Wieder vorbei an penetrant riechenden Toiletten, an denen obszöne Angebote und zweifelhafte Telefonnummern standen, noch eine Treppe hinunter und dann noch eine. Bis zu einer Kellertür.
Schließlich waren sie in einer großen, unterirdischen Halle. Wasser tropfte von der Decke, und hier und da schien das Licht des Treppenhauses und einiger anderer verirrter Lampen herein. Dennoch war es so dunkel, dass man nur mit Mühe irgendetwas erkennen konnte und höllisch aufpassen musste, sich nicht irgendwo zu stoßen.
Sie blickten sich um. Ein etwa drei Meter hoher Gang führte vor ihnen in die Finsternis, und seine Konturen verloren sich nach ein paar Metern in der Dunkelheit.
Ein Pappschild war dort befestigt, und auf dem Schild war mit Edding ein Wort gekritzelt. Zusammen mit einem Pfeil, der genau in die Dunkelheit führte.
RYAN
Es war klar. Wenn sie Ryan retten wollten, dann mussten sie in die Dunkelheit.
»Wir sollen durch diesen Gang?«, fragte Julia. Sie schaute zurück auf die Tür hinter ihnen, die Richtung Treppenhaus führte.
Emily folgte ihrem Blick. Die Tür war geöffnet und der Weg zurück nach oben in die verrauchte Spelunke von Snake erschien ihr zwar nicht sonderlich verlockend, aber immer noch besser, als stundenlang einem Gang zu folgen, der ins Nirgendwo führte.
»Ich schon«, sagte sie, »wenn Ryan dort ist, habe ich keine andere Wahl.«
Aber Julia schien das nicht zu überzeugen. »Nun hör mal zu, Em! Es ist eine Sache, dass dieser Irre irgendwelche Spielchen mit uns spielen will und wir dabei mehr oder weniger mitmachen müssen, weil er Ryan bedroht. Es ist eine Sache, Rätsel zu lösen, und eine andere Sache, in irgendeinen dunklen Gang zu gehen, bei dem wir überhaupt nicht wissen, ob wir uns nicht in einem riesigen Labyrinth verlaufen, ob die Decke einstürzt oder ob wir jemals wieder herauskommen. Und wir auch überhaupt nicht wissen, ob Ryan hier irgendwo in der Nähe ist!« Sie schaute sich um. »Weißt du was?« Sie blickte Emily an und zog an den Kordeln ihres Kapuzenpullovers. »Wir gehen jetzt da oben hin und geigen diesem Snake die Meinung. Keine zehn Pferde bringen mich dazu, stundenlang diesen dunklen Gang entlangzulatschen.«
»Ich verstehe dich ja, Julia, aber was sollen wir denn machen?« Das fehlte gerade noch, dass Julia jetzt ging und sie allein den dunklen Gang entlangirren musste. »Wir haben doch keine andere Möglichkeit als …«
BUMM!
In diesem Moment schlug die Tür zu, und die Scharniere rasteten ein.
64
»Nein!«, schrie Julia und rannte zur Tür.
Die Dunkelheit umfing sie wie ein Mund, als wären Decke und Boden die Kiefer eines riesigen Ungeheuers.
Jetzt nur nicht in Panik geraten, dachte Emily. Sie hatte das schon einmal erlebt. Damals in London. Sie war in dem Heizungskeller des King’s College gewesen. Und auch Julia war von dem Irren eingesperrt worden.
Allmählich gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit, wie ein Gemälde Realität wurde, das nach und nach aus einem diffusen Chaos aus Schwarz- und Grautönen Kontur annimmt.
Julia stemmte sich gegen die Tür, doch sie bewegte sich so wenig wie ein Bunker. Und die Tür hatte nicht einmal eine Türklinke außen. Und war zudem noch aus Stahl.
Sie rüttelten beide eine Weile an der Tür.
»Lass uns hier raus! Wir wollen hier raus!«, rief Julia. »Das ist
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