Spiel der Herzen (German Edition)
Sie deshalb darauf, in seiner Brauerei mitzumischen?«
»Nein. Meine Mutter war Schankwirtin. Alle Rezepte, nach denen wir arbeiten, sind seit Generationen von der Mutter an die Tochter weitergegeben worden. Ich trat also in ihre Fußstapfen.« Ihre Stimme wurde leiser. »Sie waren sehr groß.«
»Wie lange machen Sie das schon?«
»Fast sieben Jahre«, entgegnete sie. »Ich habe angefangen, bevor Papa gestorben ist.«
»Das ist unmöglich! Da waren Sie doch noch viel zu jung dafür!«
»Ich war zweiundzwanzig, als meine Mutter starb und ich in der Brauerei zu arbeiten begann.«
Er starrte sie mit offenem Mund an. »Aber dann sind Sie ja jetzt –«
»Schon fast dreißig. Ich bin leider etwas in die Jahre gekommen.«
Er schnaubte. »Sie sind höllisch unbequem und eine der kaltschnäuzigsten Frauen, die mir je begegnet sind, aber Sie sind mitnichten in die Jahre gekommen!«
Sie lächelte still in sich hinein. Es mochte albern sein, aber es schmeichelte ihr, dass er sie nicht für eine alte Jungfer hielt, wie es in Burton viele taten.
Sie setzten ihren Weg schweigend fort. Das war nicht schwer, denn die Straße war sehr belebt. Die High Borough Street war bekannt für ihre zahlreichen Gasthäuser und Wirtschaften, und so waren auch spätabends noch viele Menschen unterwegs. Gott sei Dank begleitete Lord Jarret sie zu ihrer Unterkunft; seine stattliche Statur gab ihr ein Gefühl der Sicherheit.
Er hatte in Bezug auf den Unterschied zwischen London und Burton recht gehabt, auch wenn sie es nicht hatte eingestehen wollen. In Burton konnte sie sich frei bewegen, vor allem wegen des Ansehens, das ihre Familie genoss. Sie war nie auf die Begleitung durch einen Diener angewiesen – ihr konnte nichts passieren, solange sie sich von dem üblen Viertel der Stadt fernhielt.
Aber hier … Nun ja, London hatte eine Menge üble Viertel. Und auch wenn sie in einer Droschke wahrscheinlich sicher gewesen wäre, waren Überfälle durch Straßenräuber nicht ausgeschlossen.
Nachdem sie an der Brauerei Plumtree vorbeigegangen waren, die im Nachtbetrieb viel beschaulicher wirkte als tagsüber, näherten sie sich dem Spur Inn. Sie hatte das Gasthaus wegen der Nähe zur Brauerei und der niedrigen Preise ausgesucht, aber nun wünschte sie, sie hätte ein anderes gewählt. Die Meute in der Schankstube war ziemlich laut, und sie bezweifelte, dass sie in dieser Nacht genug Schlaf bekommen würde.
Lord Jarret öffnete die Tür und führte sie ins Haus. »Ich bringe Sie noch auf Ihr Zimmer. Hier sollte eine Frau nicht allein umherlaufen.«
»Danke, gnädiger Herr«, sagte sie und ging mit ihm die schmale Treppe hoch.
»Nachdem Sie vorhin im Rahmen unserer Wette angeboten haben, die Nacht in meinem Bett zu verbringen«, sagte er mit rauer Stimme, »können Sie ruhig eine persönlichere Anrede wählen als ›gnädiger Herr‹.«
Ihr stieg die Röte ins Gesicht. Musste er das unbedingt wieder zur Sprache bringen? Es machte ihr bewusst, dass sie praktisch allein mit ihm war. Alle anderen Gäste des Inns schienen in ihren Zimmern oder unten in der Schankstube zu sein.
Warum hatte er ihr diese Wette überhaupt vorgeschlagen? Um sie zu verschrecken? Oder weil er sie begehrte? Und falls Letzteres der Fall war, warum hatte er sie dann gewinnen lassen?
Um es die kommenden zwei Tage mit ihm in eine Kutsche eingesperrt auszuhalten, musste sie wissen, ob er ein Gentleman war oder ein Schuft. »Wo Sie die Wette erwähnen, Lord Jarret –«
»Jarret«, korrigierte er sie.
»Jarret.« Ihr lief ein Schauder über den Rücken. Sie fand es sehr vertraulich, ihn beim Vornamen zu nennen. »Ich habe mich gefragt, ob …« Oh, du lieber Himmel, wie sollte sie die Frage nur formulieren?
»Ja?«
Inzwischen hatten sie den ersten Stock erreicht. Er war menschenleer. Annabel war froh, dass er mit nach oben gekommen war, denn das Zimmer, das sie sich mit Sissy und Geordie teilte, befand sich am unbeleuchteten Ende des Korridors. Sie hätte hier wahrhaftig nicht allein sein wollen – immerhin konnte jederzeit ein Betrunkener die Treppe heraufkommen.
Als sie vor der Tür zu ihrem Zimmer stehen blieben, zwang sie sich, ihm in die Augen zu sehen. »Haben Sie mich mit Absicht gewinnen lassen?«
»Warum sollte ich so etwas tun?«
»Weil Sie weniger verantwortungslos sind, als Sie zugeben wollen. Weil Sie ein Gentleman sind.«
»Ich glaube nicht, dass ich einer bin.«
Sie senkte ihre Stimme. »Aber ein Gentleman würde davon absehen, eine Frau nur
Weitere Kostenlose Bücher