Spiel der Herzen (German Edition)
Burschen!
»Ich wollte mich eigentlich nach einem Teestand umsehen, Geordie«, sagte Mrs. Lake rasch und fasste den Jungen an der Schulter. »Magst du mir dabei helfen?«
»A-aber ich muss doch erklären –«
»Ich denke, du hast bereits genug erklärt. Und nun komm mit«, entgegnete Mrs. Lake, dann sah sie Annabel vielsagend an. »Bleib nicht zu lange, meine Liebe. Es scheint sich ein Gewitter zusammenzubrauen.«
Unglücklicherweise in mehrfacher Hinsicht. Als Mrs. Lake mit dem Jungen davoneilte, stemmte Annabel die Hände in die Hüften. »Wie kommt Geordie dazu, so etwas zu sagen?«
Um sich aus der Affäre zu ziehen, beschloss Jarret, das zu tun, was sein verstorbener Vater immer getan hatte, wenn seine Mutter ihn zur Rede stellen wollte: Reißaus nehmen.
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.« Er steuerte den nächstbesten Fluchtweg an und marschierte blindlings eine Marktgasse hinunter.
Sie raffte ihre Röcke zusammen und eilte hinter ihm her. »Antworten Sie mir! Wie ist Geordie auf die Idee gekommen, Sie wollten mich heiraten?«
»Das müssen Sie ihn fragen!«, gab er zurück, denn es widerstrebte ihm eigenartigerweise, sie zu belügen.
»Aber ich frage Sie ! Sie haben etwas zu ihm gesagt, nicht wahr? Als er uns zusammen gesehen hat?«
Verdammt, verdammt, verdammt. Und zu allem Überfluss verdunkelte sich der Himmel zusehends.
Es wurde Zeit für eine andere Taktik seines Vaters: den Gegenangriff. Er blieb stehen und fixierte Annabel mit kaltem Blick. »Ich beantworte Ihre Frage, wenn Sie meine beantworten. Liegt Ihr Bruder im Sterben?«
Die Taktik ging auf. Annabel erbleichte und lief die schmale Gasse hinunter. Nun versuchte sie zu flüchten, nicht wahr? Aber es würde ihr nicht gelingen.
Mit ein paar langen Schritten war er bei ihr. »Und?«, drängte er.
»Wie kommen Sie darauf, dass Hugh im Sterben liegen könnte?«, fragte sie mit gepresster Stimme.
»George schien mir außergewöhnlich bestürzt wegen seiner kranken Mutter zu sein. Und als ich sagte, dass es vielleicht nötig werden könnte, seinen Vater zu holen, entgegnete er, dass Sie nicht nach ihm schicken würden. Er sagte, Ihr Bruder würde ohnehin nicht kommen.«
Sie sah ihn entsetzt an. »Ich kann nicht verstehen, warum er so etwas sagt! Natürlich würde Hugh kommen!«
»Ich gewann den Eindruck«, fuhr er fort, »dass sein Vater möglicherweise zu krank dazu ist. Und dann kam mir in den Sinn, falls Mr. Lake dem Tode nah ist –«
»Ist er nicht! Wie ich bereits sagte, ist seine Erkrankung nicht von Dauer. Er wird im Nu wieder auf den Beinen sein.«
Es klang zwar, als sagte sie die Wahrheit, aber Jarret wollte es genauer wissen. »Warum scheint George dann etwas anderes zu glauben?«
»Ich habe keine Ahnung. Er weiß es eigentlich besser.« Sie runzelte die Stirn. »Aber wie die meisten Jungen seines Alters neigt er dazu, die Dinge aus purer Effekthascherei zu dramatisieren.«
Nun, das war allerdings richtig. Jarret konnte sich gut an diese Zeit erinnern. »Er würde es nicht tun, wenn Sie und seine Mutter aufhören würden, ihn zu verhätscheln. Es tut Jungen in diesem Alter nicht gut. Sie halten sich dann nämlich für das Zentrum des Universums, und alles, was mit ihnen zu tun hat, hat dann immer ganz wichtig zu sein.«
»So ein Unsinn! Wir verhätscheln ihn doch nicht!«
»Wirklich nicht?« Sie hatten den Markt inzwischen verlassen und gingen eine menschenleere Straße hinunter, an der hübsche kleine Cottages und Scheunen aus alterndem grauem Holz standen. »Er ist bereits alt genug, um nach Eton zu gehen, und merkt es nicht einmal, wenn er betrogen wird.«
»Ich selbst habe es ebenso wenig gemerkt. Ich wusste gar nicht, dass es solche Hütchenspieler überhaupt gibt.« Ihr Ton wurde schärfer. »In Burton lauern nicht an jeder Ecke Gauner und Betrüger, wie es in London zu sein scheint.«
»Er sollte längst auf der höheren Schule sein und etwas über die Welt erfahren, in der er lebt.«
»Da stimme ich Ihnen zu. Leider kann ich … können wir es uns nicht leisten, ihn aufs Internat zu schicken, solange die Brauerei zu kämpfen hat.«
»Dann sagen Sie Ihrem Bruder, er soll ihm einen Hauslehrer besorgen, Himmelherrgott! Und geben Sie ihm etwas Raum zum Atmen, lassen Sie ihn einen richtigen Jungen sein. Hören Sie auf, ihn klein zu halten.«
Sie schnaubte. »Diesen Rat gibt mir ausgerechnet ein Mann, der sich selbst überlassen aufgewachsen ist, weil sich niemand um ihn gekümmert hat. Ein Mann, der sich immer
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