Spiel der Herzen
sie war, daß eine Schar treuer Gäste immer wieder den Weg zu ihr fand. Zu diesen Männern gehörten auch Frank und Werner.
Das Tagesgespräch war heute ein Sieg der deutschen Fußballnationalmannschaft über die österreichische. Allgemein wurde die Auffassung vertreten, daß es eine Katastrophe gewesen wäre, wenn die Deutschen gerade dieses Spiel verloren hätten.
»Dann hätten wir uns«, sagte ein pensionierter Briefträger, der neben einem noch aktiven Tankwart am Tresen stand, »heimgeigen lassen können.«
»In der Tat! Ich war mal vor drei Jahren in Wien in Urlaub, da haben die Ungarn im Praterstadion gespielt. Das guckst du dir an, dachte ich. Mann! sage ich dir. So was von Fanatismus habe ich noch nicht erlebt. Da sind wir Waisenknaben dagegen.«
»Dazu muß man wissen, daß zwischen den Österreichern und den Ungarn – oder Magyaren, wie die sagen – eine alte Erbfeindschaft besteht.«
»Genau wie zwischen uns und den Österreichern.«
»Deshalb sage ich ja, daß es eine Katastrophe gewesen wäre, wenn wir verloren hätten.«
»Was mich allerdings stört«, meinte der Tankwart, »ist, daß wir nur durch einen Elfmeter gewonnen haben.«
»Gewonnen ist gewonnen.«
»Umstritten war er auch noch.«
»Was heißt ›umstritten‹? Der Schiedsrichter hat gepfiffen, und wenn der Schiedsrichter pfeift, ist das eine Tatsachenentscheidung, damit basta. Wo kämen wir denn hin, wenn das nicht so wäre!«
»Hast du gesehen, wie die protestiert haben? Der Torwart ist übers halbe Feld gelaufen.«
»Natürlich habe ich das gesehen. Aber das kennt man ja von den Österreichern. Mit dem Sportsgeist hapert's bei denen. Wenn ich der Schiedsrichter gewesen wäre, hätte ich dem rasch gezeigt, wo's langgeht. Rote Karte, verstehst du? Kurz und schmerzlos.«
Der Tankwart blickte eine Weile stumm in sein Glas. Er schien nachzudenken. Schließlich fragte er den Briefträger: »Was sagst du denn dann zu dem berühmten dritten Tor bei der WM 66 in England?«
»Dazu?«
»Ja.«
»Was soll ich dazu sagen?«
»Das war doch die größte Fehlentscheidung, die es je gegeben hat.«
»Sicher.«
»Einem solchen Schiedsrichter gehört einfach das Handwerk gelegt, das lasse ich mir nicht nehmen, da kannst du mir sagen, was du willst.«
»Vergiß nicht den Linienrichter, der daran entscheidend mitgewirkt hat.«
»Ein Russe!«
»Das sagt alles.«
»In solchen Fällen dürfte auch eine Tatsachenentscheidung nicht unumstößlich sein«, erklärte der Tankwart mit unnachgiebiger Stimme.
»In solchen Fällen nicht«, pflichtete ihm der Briefträger bei.
»Der Schiedsrichter war ein Schweizer, das hat noch dazu gepaßt. Die Neutralität von denen ist doch längst nicht mehr wahr.«
»Den größten Blödsinn hat ja schon die FIFA gemacht. Wie kann man einem solchen Gespann die Leitung eines solchen Spieles anvertrauen?«
»Guck dir doch diese Hampelmänner an, wenn sie sich im Fernsehen wichtig machen. Oder in der Zeitung.«
Eine dritte Stimme wurde vernehmbar, die der Wirtin. Wenn ihr zuviel gequatscht wurde, griff sie ein.
»Vergeßt das Trinken nicht, ihr zwei«, sagte sie. »Das Bier in euren Gläsern siedet schon bald.«
Beliebt bei ihren Gästen, stand sie hinter der Theke und hatte stets ein wachsames Auge auf alles, was ihrem Geschäft förderlich war oder nicht. Ein unverblümtes Wort, das ihr aus dem Herzen kam, war ihr erlaubt. Ihre Kundschaft bestand ausschließlich aus Männern, denen klar war, daß sie, wenn sie über die Schwelle dieses Lokals traten, nicht in ein Grandhotel hineingingen.
Der Briefträger und der Tankwart grinsten, führten ihre Gläser zum Mund, leerten sie und schoben sie der Wirtin hin zum Nachschenken.
Frank und Werner saßen für sich an einem kleineren Tisch zwischen zwei Fenstern des Gastzimmers. Auch ihr Gespräch galt zunächst einmal dem Fußball.
»Hast du das Spiel gesehen?« fragte Werner.
»Klar«, antwortete Frank.
»Und was sagst du dazu?«
»War nichts Besonderes, sieh dir doch das Ergebnis an. Ein Ach- und Krachsieg.«
»Der Elfmeter war in meinen Augen nicht berechtigt.«
Frank glaubte, nicht recht gehört zu haben.
»Aber selbstverständlich war er das, Mensch! Die Hand ging einwandfrei zum Ball, und nicht der Ball zur Hand!«
Nun mußte sich Werner außerordentlich wundern.
»Ich glaube, du brauchst eine Brille, Junge.«
»Oder du!«
Sie konnten sich nicht einigen, wer von ihnen dringender zum Augenarzt mußte.
»Wenn es so um dich steht«, sagte Werner,
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