Spiel der Magier
verschwand und ein paar Meter weiter wieder auftauchte – verstand Garion, wovon seine Tante und sein Großvater sprachen. Die Mauern, die Gebäude, die ganze Stadt war eine Illusion, eine Erinnerung. Der kalte Wind mit seinem Gestank nach Verderben schien stärker zu werden und brachte jetzt auch den Geruch nach Rauch mit sich. Obwohl Garion noch immer den hellen Sonnenschein auf dem Gras sehen konnte, schien es aus irgendeinem Grund merklich dunkler zu werden. Das Lachen der Kinder und der entfernte Gesang wurden schwächer, statt dessen hörte Garion Schreie. Ein tolnedrischer Legionär in poliertem Brustharnisch und federgeschmücktem Helm, so echt aussehend wie die Mauern und alles andere, kam die langgezogene Kurve der Straße heruntergelaufen. Von seinem Schwert tropfte Blut, sein Gesicht war zu einem entsetzlichen Grinsen erstarrt, seine Augen glühten.
Zerstückelte und verstümmelte Körper bedeckten die Straße, und überall war Blut. Die Wehklage erhob sich zu einem durchdringenden Schrei, als die Illusion sich ihrem grauenhaften Höhepunkt näherte.
Die spiralförmige Straße öffnete sich schließlich auf den großen, kreisförmigen Platz im Zentrum von Mar Amon. Der eisige Wind heulte durch die brennende Stadt, und das entsetzliche Geräusch, mit dem Schwerter durch Fleisch und Knochen fuhren, erfüllte Garions Gedanken völlig. Es wurde noch dunkler.
Das Pflaster des Platzes war mit der Erinnerung an unzählige tote Marager bedeckt, die unter den schweren Wolken dunklen Rauchs dalagen. Aber was dort mitten auf dem Platz stand, war keine Illusion und auch kein Geist. Die Gestalt war riesig und schien intensiv und drohend zu schimmern; sie war eine Realität, deren Existenz nicht von dem Geist des Betrachters bestimmt wurde. In ihren Armen hielt sie die Gestalt eines ermordeten Kindes, das die Summe aller Toten des verfluchten Maragor zu sein schien, und ihr Gesicht, in Qualen über das tote Kind gebeugt, war verzerrt in einem unmenschlichen Kummer. Die Gestalt wehklagte, und Garion spürte selbst in dem Halbschlaf, der seinen Verstand schützte, wie sich seine Nackenhaare sträubten.
Meister Wolf zog eine Grimasse und kletterte aus dem Sattel. Vorsichtig stieg er über die Erscheinungen von Toten, die über dem Platz verstreut waren und näherte sich der riesigen Gestalt. »Mara, Herr«, sagte er mit einer respektvollen Verbeugung.
Mara klagte. »Mara, Herr«, wiederholte Wolf. »Nicht leichtfertig wage ich es, dich in deinem Kummer zu stören, aber ich muß dich sprechen.«
Das schreckliche Gesicht verzog sich, und große Tränen strömten über die Wangen des Gottes. Wortlos hielt Mara ihm den Körper des toten Kindes hin und weinte.
»Mara, Herr!« versuchte Wolfes noch einmal.
Mara schloß die Augen und senkte schluchzend den Kopf über das tote Kind.
»Es ist sinnlos, Vater«, sagte Tante Pol zu dem alten Mann. »Wenn er in diesem Zustand ist, kommst du nicht an ihn heran.«
»Laß mich allein, Belgarath«, sagte Mara, noch immer weinend. Seine mächtige Stimme dröhnte und hallte in Garions Geist wider. »Laß mich allein mit meinem Kummer.«
»Mara, der Tag, an dem sich die Prophezeiung erfüllen wird, ist nahe«, sagte Wolf.
»Was bedeutet das?« schluchzte Mara und drückte das tote Kind fester an sich. »Wird die Prophezeiung mir meine gemordeten Kinder wiedergeben? Ich stehe außerhalb der Prophezeiung. Laßt mich allein.«
»Das Schicksal der Welt hängt vom Ausgang der Ereignisse ab, die sehr bald stattfinden werden, Mara, Herr«, beharrte Meister Wolf. »Die Königreiche des Westens und des Ostens rüsten sich für den letzten Krieg, und Torak Einauge, dein verfluchter Bruder, ist unruhig in seinem Schlummer und wird bald erwachen.«
»Laß ihn erwachen«, antwortete Mara und beugte sich über den Körper in seinen Armen, als ein weiteres Aufschluchzen ihn schüttelte.
»Willst du dich denn seiner Herrschaft beugen, Mara, Herr?« fragte Tante Pol.
»Ich stehe außerhalb seiner Herrschaft, Polgara«, antwortete Mara. »Ich werde das Land meiner gemordeten Kinder nicht verlassen, und kein Mensch oder Gott wird mich hier stören. Laßt Torak die Welt haben, wenn er sie will.«
»Wir können ebensogut gehen, Vater«, sagte Tante Pol. »Ihn wird nichts umstimmen.«
»Mara, Herr«, sagte Meister Wolf zu dem weinenden Gott, »wir haben dir die Werkzeuge der Prophezeiung gebracht. Willst du sie segnen, ehe wir gehen?«
»Ich habe keinen Segen zu erteilen, Belgarath«,
Weitere Kostenlose Bücher