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Spiel der Schatten (German Edition)

Spiel der Schatten (German Edition)

Titel: Spiel der Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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…«
    »Giuseppe Verdi, ich weiß«, ergänzte Horace seufzend und mit einem wehmütigen Gedanken daran, dass auch er vorgehabt hatte, die Geschichte des ägyptischen Feldherrn Radames und der nubischen Sklavin Aida auf die Bühne zu bringen. Ein Vorhaben, aus dem nun nichts mehr werden würde …
    »Eine Karte«, verlangte er.
    »Das macht zwei Shilling.«
    »Nicht gerade billig.« Es war nicht Horace, der sprach, sondern der Puck, entsprechend konsterniert war die Reaktion der Kartenverkäuferin.
    »Sie werden es nicht bereuen«, versicherte sie mit leichtem Stirnrunzeln.
    »Das bezweifle ich«, versetzte der Kobold, noch ehe Horace selbst etwas erwidern konnte. Als sich die Stirnfalte der Frau noch mehr vertiefte, nahm er rasch seine Karte und schlüpfte an ihr vorbei durch den Eingang, auf dessen anderer Seite ein uniformierter Theaterdiener ihn in Empfang nahm und seine Karte kontrollierte.
    Zusammen mit einer ganzen Traube von Schaulustigen gelangte er daraufhin in den Theatersaal, der bereits zum Bersten gefüllt war – und Horace schmerzlich an jene Zeiten erinnerte, in denen auch sein eigenes Haus die Besucher noch in Scharen angezogen hatte. Überall, nicht nur in den günstigen Sperrsitzreihen, sondern auch in den Logen und oben auf den Balkonen, drängten sich die Menschen. Ein großer Lüster beleuchtete den Saal, der mehr an eines der großen Theater des West End denken ließ als an eine Schaubühne. Entsprechend unterschiedlich waren auch die Zuschauer – während sich auf den unteren Rängen die einfachen Leute drängten, waren die Logen mit durchaus wohlhabenden Besuchern besetzt, die mit ihren Operngläsern über das wogende, lärmende Chaos im Parkett hinwegzublicken suchten.
    Die Packer machten ihrem Namen alle Ehre und stopften so viele Zuschauer wie nur irgend möglich in die Sitzbänke. Horace ergatterte einen Platz in der achten Reihe, allerdings ganz außen, sodass er fürchten musste, zwischen der Armlehne der Bank und seiner Nachbarin, einer ziemlich beleibten Frau, die sich dem aufdringlichen Zwiebelgeruch nach ihren Lebensunterhalt als Köchin oder Haushälterin verdingte, zerquetscht zu werden. Irgendwie schaffte er es, sich einigermaßen bequem einzurichten, dann verblasste die Beleuchtung auch schon, und die Vorstellung begann.
    Normalerweise liebte Horace diesen Moment, diesen Augenblick atemloser Spannung, wenn es im Saal dunkel wurde und das Gemurmel der Zuschauer erwartungsvollem Schweigen wich. Heute jedoch war er von banger Erwartung erfüllt.
    Was würde er zu sehen bekommen?
    Etwas, das ihm gnadenlos klarmachen würde, dass seine Zeit zu Ende war und eine neue Zukunft begonnen hatte? Oder war auch Umberto Caligore letztlich nur ein Schausteller, ein Scharlatan, der es verstand, die Menschen in Massen anzuziehen? Was für Sensationen waren es, die dieses Theater angeblich barg? Gleich würde er es erfahren …
    Einen Augenblick lang blieb es dunkel.
    Dann hob sich der Vorhang.
    Und Horace wurde bitter enttäuscht.
    Auf der Bühne war lediglich eine Wand aus halbtransparentem Stoff gespannt, die von einem Ende zum anderen reichte. Sie wurde von hinten beleuchtet, sodass die Silhouette einer antiken Stadt zu sehen war, mit mächtigen Türmen und von Säulen getragenen Tempeln, Memphis zweifellos. Im Hintergrund waren, ebenfalls als Schattenriss, die Pyramiden angedeutet, in der Mitte der Bühne ein großes Tor, das war alles. Sollten das die Sensationen sein, die das Caligorium zu bieten hatte? Verbarg sich hinter Umberto Caligores bahnbrechendem Erfolg tatsächlich nichts anderes als ein altmodisches Schattenspiel?
    In diesem Moment hob das Orchester im Graben zur Ouvertüre an. Verdis Klänge erfüllten den Saal und verbreiteten ihren üblichen Zauber – das Bild auf der Bühne jedoch blieb unverändert bestehen. Horace ertappte sich dabei, dass er erleichtert war. Ganz offenbar barg das Caligorium doch nicht jene außergewöhnlichen Attraktionen, von denen allenthalben gemunkelt wurde. Sein Besitzer schien lediglich ein Meister darin zu sein, die Neugier der Leute anzustacheln und sie in Scharen in sein Theater zu locken. Ein Rattenfänger, nicht mehr und nicht weniger …
    Da begann der Gesang.
    Schon die ersten Töne zogen die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich, denn sie kamen nicht von der Bühne, sondern erklangen irgendwo hinter ihnen, und so wandten sich alle staunend um, um zu sehen, woher die glasklare Stimme kam. Ein Raunen ging durch die Reihen der Zuschauer,

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