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Spiel der Schatten (German Edition)

Spiel der Schatten (German Edition)

Titel: Spiel der Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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verfolgten Aufzug für Aufzug die Geschichte der äthiopischen Sklavin, die den mächtigen ägyptischen Feldherrn Radames liebte und deren Liebe doch zum Scheitern verurteilt war.
    In seinem Leben hatte Horace Pence viele Musiktheater besucht und zahllose Aufführungen gesehen – doch nicht eine hatte ihn so tief berührt und beeindruckt wie diese, und das obwohl die Darsteller keine Menschen aus Fleisch und Blut waren, sondern nur Schatten. Die Gefühle, die diese Schemen vermittelten, die Art und Weise, wie sie sich scheinbar jedem Naturgesetz zum Trotz bewegten, und ihr wunderbarer Gesang sorgten für eine Ergriffenheit, die der alte Horace lange nicht mehr in einem Theatersaal verspürt hatte. Obwohl er sich immer wieder einredete, dass all dies nicht wirklich war und nur eine geschickte Sinnestäuschung sein konnte, ertappte er sich dabei, dass er mit den Hauptfiguren fühlte, deren dunkles Schicksal sich dort auf der Bühne entspann, so als ob es keine Schatten wären, die er dort sah, sondern empfindende Seelen.
    Obschon er mit aller Macht dagegen ankämpfte, hatte er bald Tränen in den Augen, und als der Vorhang zur Pause fiel, applaudierte er so heftig und anhaltend, dass seine Hände nachher schmerzten. Kaum waren die Schatten jedoch verblasst und die Musik verklungen, wich die Rührung der alten Neugier, und als Mann des Theaters fragte sich Horace, wie in aller Welt Umberto Caligore es fertigbrachte, solch glaubhafte Illusionen zu erzeugen.
    Als sich die Zuschauer in der Pause von ihren Sitzen erhoben, stand auch er auf, froh darüber, dem Zwiebelgeruch seiner Nachbarin für einige Augenblicke zu entfliehen. Und noch ehe er recht wusste, was er tat, schlich er Richtung Bühne. Wie hatte Caligore all dies bewerkstelligt? Wie wurden diese so ungeheuer lebendig wirkenden Schattenbilder erzeugt?
    Horace musste es erfahren.
    Sein Gewissen plagte ihn ein wenig, weil es zum einen verboten, zum anderen höchst unehrenhaft war, die Konkurrenz auszuspionieren. Aber womöglich, sagte er sich, war es ja gar nicht er selbst, sondern der Puck, der die Wahrheit unbedingt erfahren wollte.
    Im allgemeinen Gewimmel, das im Saal und auf den Gängen herrschte, nahm niemand von ihm Notiz, und so erreichte er ungesehen die Bühne und huschte die Stufen hinauf, die links vom Orchestergraben emporführten.
    Halb erwartete er, dass einer der Packer ihn sehen und zurückrufen würde, oder dass er von einem Theaterdiener aufgehalten würde, aber nichts dergleichen geschah – und so schlüpfte der alte Horace kurzerhand hinter den Vorhang. Wenn er jedoch geglaubt hatte, dass auf der Bühne des Theaters rege Betriebsamkeit herrschen und die Bühnenarbeiter und Darsteller hektisch den ersten Aufzug nach der Pause vorbereiten würden, so wurde er enttäuscht. Totenstille herrschte, nur das aufgeregte Gemurmel der Zuschauer drang gedämpft durch den schweren Samtvorhang. Außerdem war keine Menschenseele zu sehen, noch nicht einmal dann, als Horace sich noch weiter vorwagte und hinter die Schattenkulissen des Palastes von Memphis und des großen Tores blickte. Der Bühnenraum zeigte sich wie ausgestorben, gerade so, als hätten sämtliche Darsteller und Arbeiter das Theater fluchtartig verlassen.
    »Was, in aller Welt, geht hier vor?«
    Horace war sich selbst nicht sicher, ob er es war, der sprach, oder der Puck. Erstaunt schlich er weiter und blickte an den eindrucksvollen, schwarz gestrichenen Kulissen empor. Aber wo waren die Schatten, die noch wenige Augenblicke zuvor den Palast und die Gärten von Memphis bevölkert hatten? Und wo die Menschen, die die Arien gesungen und jene Schatten geworfen hatten?
    Horace merkte, wie sich seine Nackenhaare sträubten. Das hässliche Gefühl, dass etwas nicht stimmte, bemächtigte sich seiner, die dumpfe Ahnung, dass hier etwas vor sich ging, das zutiefst widernatürlich war, auch wenn er es nicht genauer zu benennen vermochte. Von unvernünftiger, fast kindlicher Neugier getrieben, setzte er behutsam einen Fuß vor den anderen. Die Dielen der Bühne knarrten leise unter ihm, während er mit pochendem Herzen tiefer in das Geheimnis vordrang, das das Caligorium zu umgeben schien.
    Er passierte das große Tor und gelangte hinter die Kulissen – wo er verwundert stehen blieb. Vor ihm, etwa zehn Fuß über dem Boden, hing eine seltsame Vorrichtung von der Decke, die sofort seine Aufmerksamkeit gefangen nahm.
    Es war eine Laterne.
    Allerdings eine, wie Horace Pence sie noch nie zuvor zu Gesicht

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