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Spiel der Schatten (German Edition)

Spiel der Schatten (German Edition)

Titel: Spiel der Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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als zunächst niemand zu erkennen war.
    »Dort oben!«, rief schließlich jemand und deutete zum obersten Balkon hinauf, der von einem unwirklichen grünen Lichtschein beleuchtet wurde. Dort in der Loge saß kein Zuschauer, stattdessen war eine undeutliche Gestalt zu erkennen, ganz offenbar der Tenor, dessen Gesang das Theater erfüllte.
    Die allgemeine Erregung war gerade dabei, sich wieder zu legen – schließlich war es zwar eine hübsche Idee, einen Sänger außerhalb der Bühne zu platzieren, jedoch nicht so außergewöhnlich, dass sie für längeres Erstaunen gesorgt hätte –, als das Unglaubliche geschah.
    Die schemenhafte Gestalt, die den Helden Radames verkörperte, löste sich aus dem Halbdunkel der Loge, trat an die Brüstung – wobei sie weiter nur ein Schemen blieb – und glitt dann an der mit rotem Stoff beschlagenen Wand entlang.
    »Ein Schatten«, wisperte es durch die Reihen. »Es ist nur ein Schatten …«

4
    SCHATTENSPIEL
    Der Schemen huschte über die Wand und der Bühne entgegen, und obwohl er sich von seiner Lichtquelle entfernte, wurde er dabei nicht größer, sondern verzerrte sich lediglich, als er über die Logen und Ränge glitt – und er bewegte sich, gestikulierte mit den Armen, während er immer noch weitersang!
    Einen Augenblick lang herrschte Schweigen im Saal, schien das Publikum in Schockstarre verfallen zu sein. Dann gab es Tumult. Ein lautes Raunen ging durch die Menge. Manche lachten, einige Frauen schrien entsetzt auf, während eine Reihe von Gentlemen lautstark Betrug argwöhnte.
    Doch ganz gleich, wie die Zuschauer reagierten, ob sie voller Bewunderung waren oder von Misstrauen erfüllt, ob der Zauber des Augenblicks sie erfasste oder ihr Verstand sich schlicht weigerte anzuerkennen, was das Auge sah – ihnen allen war klar, dass sie in diesem Moment Zeugen von etwas wurden, das im wahrsten Wortsinn außergewöhnlich war.
    Von etwas, dass es nach herkömmlichem Begreifen überhaupt nicht geben durfte …
    Inzwischen war der Schatten auf der Bühne angelangt – und die Stadt Memphis, die bislang nur aus schwarzen Silhouetten bestanden hatte, erwachte zum Leben!
    Weitere Schatten gesellten sich hinzu, wie der Oberpriester Ramphis, der unterhalb des Torbogens stand und in markerschütterndem Bass Radames’ Gesang erwiderte, während auf der linken Seite ein Trupp bewaffneter Soldaten aufmarschierte und rechts eine Horde Sklaven vorbeizog, angetrieben von den Peitschen ihrer Aufseher. Aber nicht nur auf der weißen Leinwand, die die Bühne überspannte, wurde das alte Ägypten in Schattenrissen heraufbeschworen, sondern auch rund herum auf den Wänden. Wasserträgerinnen traten auf und eine Karawane von Kamelen, ein Streitwagen brach hervor und glitt lautlos durch den Saal. Das Publikum schrie auf vor Staunen und Vergnügen, wann immer noch weitere Schemen auftauchten – hier ragte plötzlich ein Kriegselefant aus Nubien in die Höhe, dort entstieg ein Krokodil den Fluten des Nils und riss weit seinen Rachen auf. Die Schatten der Vergangenheit wurden buchstäblich lebendig, tanzten auf dem Klangteppich, den Verdis wunderbare Musik entrollte, als wäre sie nur dafür geschrieben worden.
    Es war – Horace verabscheute sich selbst dafür, es sich einzugestehen – die außergewöhnlichste Erfahrung, die er je in einem Theater gemacht hatte, mit Worten nicht zu beschreiben. Wehmut und Begeisterung erfassten ihn gleichermaßen.
    Noch immer empfand er unendliches Bedauern darüber, dass sein eigener Traum gescheitert war und er seine Bühne schließen musste, dass er vor den Trümmern seiner Existenz stand und die Menschen um ihn enttäuscht hatte, allen voran seine geliebte Cyn. Zugleich aber musste er neidlos zugestehen, dass die Leute einen guten Grund dafür hatten, dem Penny Theatre fernzubleiben und stattdessen ihr Geld zum Finsbury Circus zu tragen. Denn was Umberto Caligore zu bieten hatte, war nicht nur schönes Blendwerk, kein billiger Jahrmarkttrick, sondern eine vollkommene Illusion, der Triumph der Kunst über den Verstand, eine Darbietung, in die die Zuschauer einbezogen wurden, als wären sie selbst ein Teil davon.
    Und der Rausch der Sinne hatte eben erst begonnen.
    Je weiter die Handlung voranschritt, desto mehr wurde das Publikum in den Bann jener Schatten gezogen, die dort auf der Bühne und überall an den Wänden zu sehen waren. Zwischenrufe gab es längst nicht mehr. Die Zuschauer waren wie verzaubert, ergaben sich dem Reigen aus Musik und Bildern und

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