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Spiel der Schatten (German Edition)

Spiel der Schatten (German Edition)

Titel: Spiel der Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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niemand schien sich über Gebühr für sie zu interessieren. Cyn schüttelte den Kopf. Sie hatte sich das wahrscheinlich nur eingebildet. So wie sie sich einbildete, dass sich ihr Vater auf merkwürdige Weise verändert hatte.
    »Komm«, forderte Lucy sie auf und entließ sie aus ihrer handfesten Umklammerung, »lass uns noch Eier kaufen und dann nach Hause gehen und Pudding kochen, die anderen warten sicher schon mit hängendem Magen.«
    »Nicht nur die anderen«, bekräftigte Albert.
    Sie gingen zum Eierstand an der Ecke, wo besonders große Exemplare verkauft wurden, die diesmal auch in Lucys kritischen Augen Zustimmung fanden. »Wie viel das Stück?«, wollte sie wissen.
    »Ein Bender «, lautete die Antwort des Händlers.
    »Sechs Pence?« Lucy hob die Brauen. Das Häubchen, das sie über ihrem krausen Haar trug, begann zu beben, wie immer, wenn sie sich aufregte. »Sind Sie übergeschnappt?«
    »Ein Bender«, sagte der Händler, ein großer Mann mit kräftigen Händen, noch einmal und sah sie dabei seltsam an.
    Lucy jedoch schien nicht gewillt, klein beizugeben. »Das ist Wucher«, beharrte sie. » Tuppence das Stück, nicht mehr und nicht weniger!«
    Der Händler starrte sie glasig an. Dann nickte er ohne erkennbare Anteilnahme. »Tuppence«, bestätigte er.
    »Na also«, meinte Lucy zufrieden, zählte dem Händler zehn Pence auf die Hand und suchte sich dafür fünf besonders große Eier aus, die sie behutsam in Alberts Korb legte.
    »Hast du gesehen, Kind?«, fragte Lucy, als sie weitergingen. »Dieser Halsabschneider dachte, er könnte uns ausnehmen. Aber da ist er bei mir an die Falsche geraten.«
    »Er hat den Preis insgesamt um zwanzig Pence nachgelassen«, meinte Cyn verblüfft. »Ist das nicht eigenartig? Ich meine, für gewöhnlich wird doch um jeden Viertelpenny gefeilscht, als ob es um Leib und Leben ginge.«
    »Ach wo, man muss nur richtig mit diesen Strolchen umgehen«, war Lucy überzeugt. »Und nun lasst uns gehen – der Pudding wartet!«

8
    KREISENDE GEIER
    Sie verließen die Crispin Street in nördlicher Richtung, um den kürzesten Weg nach Hause zu nehmen, der über die Commercial Street führte und an den Lagerhäusern von Bishopsgate vorbei. Wenn Cyn jedoch gehofft hatte, zu Hause in der Holywell Lane ein wenig Frieden und Geborgenheit zu finden, so wurde sie bitter enttäuscht.
    Schon die beiden Gestalten, die vor dem Hintereingang des Theaters herumlungerten, ließen nichts Gutes vermuten. Der eine Kerl trug eine abgetragene, gestreifte Seemannskluft, der andere einen schäbigen Mantel und eine Mütze, die er tief ins narbige Gesicht gezogen hatte – beide gehörten jener Sorte von Leuten an, die man besser mied.
    Rasch sahen Cyn und ihre Begleiter zu, dass sie ins Haus kamen. Kaum hatten sie das Theater jedoch betreten, hörten sie auch schon die Stimme. Es war jene krächzende, an ein rostiges Scharnier erinnernde Stimme, vor der sich jeder Mann und jede Frau im Viertel fürchtete. Die Stimme des Mannes, dem ohnehin schon ein guter Teil der Gegend gehörte, und in wenigen Tagen auch das Penny Theatre.
    Desmond Brewster.
    »Oh nein«, hauchte Lucy und wurde blass. Alberts Züge verhärteten sich, grimmig schob er den Unterkiefer vor – spätestens jetzt war klar, zu wem die beiden Strolche dort draußen gehörten.
    »Desmond Brewster«, knurrte Cyn und merkte, wie die Wut in ihr hochstieg. Noch ehe jemand etwas sagen oder sie zurückhalten konnte, stürmte sie die Stufen zum oberen Stockwerk hinauf und befand sich im nächsten Moment im Arbeitszimmer ihres Vaters.
    Horace Pence stand in der Mitte des kleinen Raumes, in demütiger Haltung, das Haupt ehrerbietig gesenkt. Hinter dem Schreibtisch jedoch, dort, wo ihr Vater eigentlich hätte sitzen sollen, thronte Brewster, ein schadenfrohes Grinsen im von einem schwarzen Bart überwucherten Gesicht. Sein ebenso schwarzer Rock und der schmale Zylinder, den er auch im Haus nicht abgenommen hatte, ließen ihn wie einen Totengräber erscheinen. Sein hagerer Wuchs und die blutunterlaufenen, gierigen Augen verstärkten diesen Eindruck noch.
    »Schau an, wer da kommt!«, krächzte er, als Cyn das Zimmer betrat. Das Grinsen wurde noch breiter und ließ gelbe Zähne sehen. »Damit wäre die Familie dann ja vollzählig.«
    »Wie können Sie es wagen?«, zischte Cyn, schoss auf den Tisch zu und stützte sich energisch mit den Armen auf. Ihre Angst, ihre Unsicherheit, ihre Trauer – all das entlud sich in blankem Zorn. »Wie können Sie es wagen,

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