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Spiel der Schatten (German Edition)

Spiel der Schatten (German Edition)

Titel: Spiel der Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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du es nicht mehr?«, hakte Cyn nach.
    »Ich …« Sein Blick wurde glasig wie zuvor, der Moment der Klarheit schien bereits wieder zu Ende zu gehen.
    Einer jähen Eingebung gehorchend, zog Cyn das Flugblatt unter ihrer Strickjacke hervor, entfaltete es und hielt es ihm hin. »Ist es vielleicht hier gewesen?«, fragte sie.
    Der alte Horace gab sich alle Mühe, den Blick auf das Papier zu richten – und plötzlich verzerrten sich seine vom Fieber stark gezeichneten Züge.
    »Woher hast du das?«, zischte er wie eine Schlange und fuhr so abrupt von seinem Lager hoch, dass Cyn erschrocken aufsprang und vom Bett zurückwich.
    »Ein … ein Mann hat es mir gegeben …«, stammelte sie.
    Ihr Vater starrte sie sekundenlang an. Nun endlich schien er sie wirklich wahrzunehmen, aber sein Gesicht war von Panik verzerrt, die wässrigen Augen schreckgeweitet. Cyn hatte diesen Ausdruck schon früher gesehen – in den Mienen jener Menschen, die ruhelos durch die Straßen von London irrten und nicht nur allen Besitz und ihre Hoffnung, sondern darüber auch ihren Verstand verloren hatten.
    »Dieses Licht«, murmelte er mit bebender Stimme. »Dieses grässliche Licht!«
    Cyn legte den Kopf schief. »Was für ein Licht, Vater?« Vorsichtig trat sie wieder näher.
    »Dieses Licht!«, wiederholte er, lauter diesmal und mit nur mühsam zurückgehaltener Panik. »Es ist überall!«
    »Ich verstehe nicht … Was für ein Licht meinst du, Vater? Die Kerze auf dem Tisch? Soll ich sie löschen?«
    »Das Licht!« Diesmal kreischte er so laut, dass sich seine Stimme überschlug. »Dieses grässliche, entsetzliche Licht! Und die Augen! Diese vielen leuchtenden Augen! Sie kommen näher, immer näher!«
    »Vater!«, rief Cyn entsetzt, die nicht wusste, was dieser Ausbruch bedeuten sollte. Nie zuvor hatte sie ihren Vater so aufgelöst erlebt. »Was …«
    Die Tür flog plötzlich auf, und Lucy kam herein, alarmiert von dem Geschrei. Dadurch fiel Licht in die Kammer und blendete den alten Horace, der daraufhin die Hände vor das Gesicht schlug und fürchterlich zu heulen begann. »Das Licht! Dieses schreckliche Licht!«
    »Nicht das schon wieder«, stöhnte Lucy. Beherzt trat sie ans Bett, fasste Cyns Vater an den Schultern und presste ihn mit sanfter Gewalt auf sein Lager zurück.
    »Du musst ihn zurückholen, er gehört zur Familie«, hörte Cyn ihren Vater rufen, der sich mit aller ihm verbliebenen Kraft gegen Lucys Griff stemmte. »Aber meide das Licht, hörst du? Meide das Licht! Willst du mir das versprechen? Willst du es mir versprechen?«
    »Du musst dich beruhigen, Horace Pence«, redete Lucy auf ihn ein. »Du musst dich beruhigen, hörst du?«
    »Versprich es mir!«, heulte Cyns Vater, sich weiter wie von Sinnen gebärdend. »Du musst es mir versprechen!«
    »Ich verspreche es!«, rief Cyn, schon weil sie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte, und der Widerstand ihres Vaters erstarb augenblicklich.
    So als hätte sein Wille ihn verlassen, ließ er sich auf sein Lager zurückbetten, und schon einen Herzschlag später hielt die Ohnmacht des Fiebers ihn wieder umfangen.
    »Was … was war das?«, stammelte Cyn.
    »Das macht das Fieber«, erklärte Lucy, während sie die Decke nahm und ihn behutsam wieder zudeckte. »Ab und zu wacht er auf und faselt irgendetwas von einem Licht. Kannst du dir denken, was er damit meint?«
    »Nein.« Cyn schüttelte den Kopf, während sie das Flugblatt verschwinden ließ, indem sie es in ihrer Faust zerknüllte. »Vermutlich nur ein Fiebertraum.«
    »Vermutlich«, stimmte Lucy zu. »Aber es scheint ihm schreckliche Angst einzujagen. Ich habe ihn nie zuvor so gesehen.«
    »Ich auch nicht«, stimmte Cyn flüsternd zu. »Danke«, wandte sie sich dann an die Freundin. »Ich bin froh, dass du hier bist und dich um Vater kümmerst.«
    Ein wehmütiges Lächeln spielte um Lucys rosige Züge. »Dein Vater«, entgegnete sie, »war für mich da, als es mir ziemlich dreckig ging. Er hat mir Arbeit gegeben und einen Platz, an den ich gehöre. Nun kann ich mich endlich ein wenig erkenntlich zeigen.«
    »Würdest du heute Nacht bei ihm bleiben?«, fragte Cyn vorsichtig.
    »Heute Nacht? Wieso? Was hast du vor?«
    »Es gibt da noch etwas, das ich erledigen muss.«
    »Das du erledigen musst?« Lucy schaute sie kritisch, fast vorwurfsvoll an. »Ich denke, wir wissen beide, worum es sich dabei handelt.«
    »Ta… tatsächlich?« Cyn machte große Augen. Wie konnte die Freundin sie so rasch durchschaut haben? Sie hatte den

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