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Spiel der Schatten (German Edition)

Spiel der Schatten (German Edition)

Titel: Spiel der Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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umgab sie Nebel, der nun, da sich der Tag allmählich dem Ende neigte und die Dämmerung hereinbrach, nur noch schwerer und dichter zu werden und bis in den letzten Winkel der Stadt zu kriechen schien.
    Unwillkürlich wich Cyn zurück – und bekam plötzlich Angst.
    Von einem inneren Drang geleitet, fuhr sie herum und begann zu laufen, die High Street hinauf und zurück nach Hause.
    So lange sie noch eines hatte.

10
    FIEBER
    So schnell ihr Kleid und die abgetragenen Schuhe es zuließen, rannte Cyn zurück in die Holywell Lane.
    Den Bahnhof und die Lagerhäuser, die sich groß und unheimlich im Nebel abzeichneten, ließ sie hinter sich, hastete weiter, vorbei an Passanten, die sie verwundert anstarrten, an Händlern, die ihre Waren am Straßenrand verkauften, und an Bettlern, die in den Hauseingängen lungerten. Weder nahm sie wahr, wie schnell ihr Herz schlug, noch wie ihre Beine schmerzten, sie wollte nur nach Hause.
    Inzwischen war die Dunkelheit hereingebrochen. Entlang der Hauptstraßen wurden die Gaslaternen entzündet, deren gelblicher Schein den Nebel unheimlich leuchten ließ. Immer wieder sah Cyn über die Schulter zurück, erwartete fast, Verfolger zu entdecken, die ihr auf den Fersen waren – aber so oft sie sich auch umblickte, da war niemand.
    Woher nur rührte dieses hässliche Gefühl, beobachtet zu werden? Woher diese furchtbare Unruhe? War es reiner Zufall, dass sie sie seit dem Augenblick verspürte, da der Mann mit dem Zylinder verschwunden war? Oder war ihre Angst dem Gerede des betrunkenen Pete O’Riley zuzuschreiben?
    Cyn wusste es nicht, aber sie atmete innerlich auf, als sie in die Holywell Lane einbog. Atemlos erreichte sie den Hintereingang des Theaters, schlug mit der Faust gegen die Tür, bis diese endlich geöffnet wurde.
    Nancy stand vor ihr.
    »Da bist du ja!«
    Cyn brauchte nur in das bleiche, von Schrecken gezeichnete Gesicht der Freundin zu sehen, um zu wissen, dass etwas vorgefallen sein musste.
    »Was ist passiert?«, fragte sie, nachdem sie rasch eingetreten war und die Tür hinter sich zugestoßen hatte.
    »Dein Vater …«
    Obwohl ihre Beine vom schnellen Laufen zitterten und ihr das Herz bis zum Hals schlug, stürmte sie die schmale Treppe zur Wohnung hinauf und zur Kammer ihres Vaters.
    Lucy stand auf der Schwelle. Ihr Gesicht sah nicht besser aus als das von Nancy, tiefe Sorgenfalten hatten sich in ihre breite Stirn gegraben.
    »Kind«, rief sie aus, »da bist du endlich! Wo hast du nur gesteckt?«
    »Später«, stieß Cyn keuchend hervor. »Was ist mit Vater?«
    Lucys sonst so rosige Züge wurden noch ein wenig blasser. »Es tut mir leid, Cyn«, sagte sie leise. »Ich weiß, wie schwer das alles für dich sein muss, aber …«
    Cyn ließ sie nicht ausreden.
    Schon war sie an Lucys fülliger Gestalt vorbei in das Zimmer ihres Vaters geschlüpft.
    Da es draußen dunkelte, drang kaum noch Licht durch die Fenster. Eine Kerze auf dem Nachttisch war die einzige Beleuchtung, sodass es einen Moment dauerte, bis Cyns Augen sich an die spärlichen Lichtverhältnisse gewöhnt hatten. Sie sah den alten Schreibtisch, das mit Büchern gefüllte Regal sowie das von einem schäbigen Himmel überspannte Bett.
    Darin lag der alte Horace.
    Bleich und reglos, die Lider geschlossen.
    »Vater!«
    Cyn stürzte zu ihm und sank an seinem Lager nieder. Erleichtert stellte sie fest, dass sich sein Brustkorb hob und senkte, wenn auch nur schwach und unter keuchenden Atemzügen. Schweißperlen standen auf seiner faltigen Stirn, das weiße Haar lag in feuchten Strähnen auf dem Kissen – ganz offenbar hatte er hohes Fieber. Unruhig warf er den Kopf hin und her. Seine blauen, blutleeren Lippen formten unverständliche Worte.
    »Vater! Ich bin es, Cyn!«
    Sie griff nach seinen Händen, die trotz des Fiebers eisig kalt waren, doch der alte Horace reagierte nicht. Weder öffnete er die Augen, noch hörte er auf zu flüstern.
    Tränen traten Cyn in die Augen, so schrecklich hilflos fühlte sie sich. Sie merkte, wie jemand neben sie trat und ihr die Hand auf die Schulter legte.
    Lucy.
    »Was ist passiert?«, wollte Cyn leise wissen.
    »Ich weiß es selbst nicht.« Lucy schüttelte ratlos den Kopf. »Das Fieber kam ganz plötzlich. Im einen Augenblick schien noch alles in Ordnung zu sein, dann brach der gute Horace plötzlich zusammen. Hank und Albert haben ihn ins Bett getragen, und ich habe versucht, das Fieber zu senken, aber es steigt unaufhörlich.«
    Cyn betrachtete ihren Vater, strich sanft über

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