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Spiel der Schatten (German Edition)

Spiel der Schatten (German Edition)

Titel: Spiel der Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Rätsel, das sich um das Caligorium rankte, und es bestärkte Cyn in ihrem Entschluss, den Finsbury Circus erst dann wieder zu verlassen, wenn sie herausgefunden hatte, was hier los war. Sie musste auf eine Gelegenheit warten, ins Innere zu gelangen.
    Der Regen wurde stärker.
    Eng in die Nische gepresst, in der es abscheulich stank, blieb Cyn zumindest einigermaßen trocken. In ihrer dunklen Kleidung fast ganz mit der rotbraunen Backsteinwand verschmelzend beobachtete sie die Droschken auf der Straße. Fußgänger waren kaum noch unterwegs, nur ab und zu hastete jemand den Bürgersteig entlang, den Kragen hochgeschlagen und die Mütze tief ins Gesicht gezogen. Die meisten nahmen die schlanke Gestalt, die eng in die Mauernische geduckt stand, nicht einmal wahr, was Cyn nur recht sein konnte. Gelegentlich beugte sie sich vor, um einen Blick auf das Caligorium zu werfen, das sich wie eine Trutzburg im Nebel abzeichnete, einschüchternd und düster.
    Die Zeit verstrich quälend langsam. Cyn lauschte den Schlägen, die zu jeder halben Stunde von den umgebenden Kirchtürmen drangen, und zählte in Gedanken mit.
    Einmal.
    Zweimal.
    Dreimal.
    Dann geschah das, worauf Cyn die ganze Zeit über gewartet hatte: Die Pforten des Theaters öffneten sich.
    Die Vorstellung war zu Ende!
    Zunächst waren es nur ein paar wenige Menschen, die aus dem Caligorium kamen, dann jedoch wurden es immer mehr. Auf zwei verschiedenen Wegen verließen sie das Theater. Die einen, die schäbig und abgerissen aussahen, schlugen die Krägen ihrer Jacken und Mäntel hoch und begaben sich trotz des schlechten Wetters zu Fuß auf den Heimweg; die anderen, wohlhabenderen, gingen zu den Droschken, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite aufgereiht standen.
    Jetzt!
    Cyn zog sich den Schal ein wenig tiefer ins Gesicht, dann löste sie sich aus ihrem Versteck und tauchte in die Traube der Theaterbesucher ein, die die Straße herunterkamen. Sich halblaut entschuldigend und immerzu murmelnd, dass sie etwas im Theater vergessen hätte, wühlte sie sich gegen den Menschenstrom auf den Eingang der mittleren Preiskategorie zu, in der Hoffnung, es dort nicht noch einmal mit jenem grimmigen Zeitgenossen von vorhin zu tun zu bekommen.
    Dabei fiel ihr etwas Seltsames auf.
    Aus den Zeiten, in denen die Menschen noch in Scharen das Penny Theatre besucht hatten, konnte sich Cyn gut an deren Reaktionen auf die Vorstellung erinnern: Die Leute hatten gelacht und gescherzt, wenn sie das Theater verließen, so als hätten sie ein wenig von dem Glanz und dem schönen Schein der Bühne in ihrem Herzen mit nach Hause getragen. Doch jene Menschen, die Cyn entgegenkamen, schienen nichts dergleichen zu empfinden! Zwar vermied sie es, den Leuten direkt in die Gesichter zu sehen, jedoch hörte sie kein Gelächter, kein Gemurmel, kein aufgeregtes Getuschel. Noch nicht einmal jemanden, der sich darüber beschwerte, dass das Stück Unfug gewesen sei und er sein Eintrittsgeld zurückhaben wollte.
    Die Leute verließen das Theater schweigend und mit unbewegten, wie zu Stein erstarrten Mienen. Ein Vergleich drängte sich Cyn auf, der sie bis ins Mark erschaudern ließ – die Leute sahen aus, als kämen sie von einer Beerdigung.
    Waren das also die großartigen Illusionen, die die Werbung versprach und von denen die Ausrufer so vollmundig kündeten? Am liebsten hätte Cyn einen der Theaterbesucher danach gefragt, aber sie wollte kein Aufsehen erregen, also begnügte sie sich damit, weiter gegen den Strom anzukämpfen – und war im nächsten Moment an der Kasse vorbei und huschte ins prächtige, von großen Lüstern beleuchtete Foyer.
    Mit einem vorsichtigen Blick schaute sie sich um. Tatsächlich sah sie zwei Theaterdiener, einer davon ein alter Bekannter, jedoch wandten sie ihr den Rücken zu, und wenn sie schnell genug war …
    Über eine breite Treppe ging es in den Zuschauerraum. Rasch und in gebückter Haltung hastete Cyn hinauf – und befand sich im nächsten Moment im eigentlichen Theater.
    Obwohl sie fest entschlossen gewesen war, sich nicht beeindrucken zu lassen, konnte sie nicht anders als staunen. Mit all dem roten Stoff, dem Lüster an der Decke und den Balkonen rings an den hohen Wänden sah das Caligorium wie eines der großen Schauspielhäuser im Westen der Stadt aus. Mit derlei Prunk konnte das Penny Theatre in keiner Weise konkurrieren. Wo an der Holywell Lane die Sitzbänke zuletzt leer geblieben waren, waren sie hier so dicht besetzt, dass die Packer alle Hände

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