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Spiel der Schatten (German Edition)

Spiel der Schatten (German Edition)

Titel: Spiel der Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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und aus der Tiefe das dumpfe Stampfen der Maschinen.
    »Tut mir leid«, sagte Milo, und zu Cyns Überraschung klang es weder zynisch noch falsch. »Das war unüberlegt von mir.«
    »Das war es.«
    »Lass uns ins Theater zurückkehren. Es war idiotisch, sich auf diesen Handel einzulassen.«
    »Vermutlich«, gab Cyn zu. »Dennoch gilt er.«
    »Soll das heißen, du willst weitermachen?«
    »Natürlich.«
    »Wozu? Wohin willst du mich denn jetzt noch führen? Hast du noch nicht begriffen, dass nichts, was du mir zeigen wirst, meine Meinung über die Menschen ändern kann?«
    »Du hast versprochen, dich darauf einzulassen.«
    »Und du hast versprochen, dich in dein Schicksal zu fügen, wenn dein Vorhaben fehlschlägt, und das ist es.«
    »Nein.« Cyn schüttelte den Kopf. »Bitte nicht, ich weiß nicht, was ich sonst noch …«
    »He, du! Was hast du da zu suchen, hä?«
    Cyn fuhr herum.
    Sie hatten Gesellschaft bekommen.
    Zwei Bauarbeiter hatten die Turmplattform bestiegen – vierschrötige Kerle mit fast kahlen Schädeln, dafür umso behaarteren Armen. Die Kellen und hölzernen Eimer, die sie bei sich trugen, ließen sie vor Überraschung fallen. Mit manchem hatten sie wohl gerechnet – aber ganz sicher nicht damit, am frühen Morgen auf dem erst zur Hälfte fertiggestellten Nordturm der Tower Bridge einem jungen Mädchen mit einer Puppe auf dem Arm zu begegnen.
    Cyn sah das Blitzen in den Augen der Männer und wollte lieber gar nicht wissen, was es zu bedeuten hatte. Sie entschloss sich kurzerhand zur Flucht und lief zu der Leiter, die von der Plattform in die Tiefe führte – doch einer der Arbeiter schnitt ihr den Weg ab.
    »Wohin so eilig?«, wollte er grinsend wissen.
    Cyn wich einige Schritte zurück, dann stand sie mit dem Rücken zum Abgrund.
    »Vorsicht«, schärfte Milo ihr ein.
    Ein flüchtiger Blick in die Tiefe, auf die Arbeiter, die inzwischen dort unten wimmelten, auf die Fuhrwerke und Boote – Cyn wurde schwummrig. Was sollte sie tun? Auf der Plattform würden die Kerle sie schnappen, und einen anderen Weg als den über die Leiter gab es nicht – oder?
    »Was hast du vor?«, wollte Milo wissen, der ihre jähe Hoffnung zu fühlen schien.
    »Abwarten«, gab sie zurück, während sie den Gedanken an das, was sie vorhatte, gleichzeitig verdrängte. Zum einen, um ihn Milo nicht zu verraten, zum anderen, weil sie es sich dann wahrscheinlich anders überlegt hätte.
    Schon hatte sie das Seil, das nur wenige Armlängen von ihr entfernt war, ins Auge gefasst. Mit wenigen großen Schritten erreichte sie es, packte den starken Hanf mit der rechten Hand, während sie mit der anderen ausholte.
    »Was hast du vooo…?«
    Milo kam nicht dazu, die Frage ganz auszusprechen, denn im nächsten Moment verschwand der Puck kopfüber in der Tiefe, und mit ihm auch der Schatten des Jungen. Cyn blieb keine Zeit, ihm hinterherzusehen, sie konnte nur hoffen, dass sie gut gezielt hatte. Beherzt packte sie den Ausleger des Flaschenzugs, über den das Seil lief, und sprang in den hölzernen Zuber, der daran befestigt war.
    »He, du! Bleib gefälligst hier!«, bellten die Bauarbeiter, als sie merkten, was Cyn vorhatte. In nächsten Moment hatte sie auch schon den Ausleger des Flaschenzugs herumgeschwenkt und den Zuber hinaus ins Leere gestoßen, worauf er senkrecht in die Tiefe rauschte – und sie mit ihm.
    Die Plattform mit den beiden rohen Kerlen verschwand über ihr, und Cyn merkte, wie sich ihr leerer Magen hob. Sie stieß einen gellenden Schrei aus – der im nächsten Moment verstummte, als sie mit dem Zuber in dem riesigen Strohhaufen landete, der am Fuß des Turmes für die Herstellung des Mörtels aufgeschüttet war.
    Der Aufprall war härter, als sie gedacht hatte. Strohhalme wurden in die Höhe geschleudert, und dichter Staub stieg auf, der Cyn für einen Moment einhüllte. Sie schnappte nach Luft und musste husten, doch soweit sie es beurteilen konnte, war nicht nur der Zuber heil und am Stück geblieben, sondern auch sie selbst. Und neben ihr, am Fuß des Strohhaufens, von dem er gepurzelt war, lag der Puck.
    Cyn war klar, dass das freundliche Grinsen, das in die Züge des Kobolds geschnitzt war, nicht dem entsprach, was sein Schatten in diesem Moment empfand.
    »Bist du völlig wahnsinnig geworden?«, lamentierte Milo, als Cyn sich aus dem Stroh befreit hatte und ihn vom Boden auflas. An einer Gruppe von Maurern vorbei, die sie ungläubig anstarrten, entfernte sie sich rasch von der Baustelle. »Hast du den

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