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Spiel der Schatten (German Edition)

Spiel der Schatten (German Edition)

Titel: Spiel der Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Theaterdiener die Leitern hinauf, während Milo ein zweites und ein drittes Mal zuschlug – und das Seil durchtrennte.
    Der Sandsack, der das Gegengewicht zur Laterne bildete, raste in die Tiefe und schlug mit derartiger Wucht zu Boden, dass die Planken einbrachen. Im nächsten Moment war ein fürchterliches Rasseln zu hören, als die ihres Halts beraubte Kette losschlug – und mit ihr die Laterne.
    Umberto Caligore stieß einen unmenschlichen Laut aus. Er riss die Arme in die Höhe, als könnte er das metallene Gebilde so am Absturz hindern, aber es war zu spät.
    Cyns Bewacher reagierten augenblicklich. Ihr Überlebenswille schien ihre Lethargie zu durchbrechen, und so verließen sie ihren Posten und rannten schreiend davon – und Cyn war frei.
    Blitzschnell warf sie sich zur Seite und landete bäuchlings auf dem Boden, und das keinen Augenblick zu früh. Denn dort, wo sie eben noch gestanden hatte, schlug die Laterne wie ein Geschoss ein.
    Die Planken gaben nach, die Kugel brach durch den Boden und verschwand in der Tiefe, um einen Sekundenbruchteil später aufzuschlagen. Grässliche Geräusche waren zu hören, ein Bersten und Splittern, dazu ein Heulen, das durch Mark und Bein ging. Grüne Lichtstrahlen stachen nicht nur durch das Loch in der Bühne, sondern auch zwischen den Bodenbrettern hindurch und verbreiteten schauriges Zwielicht.
    Rasch sprang Cyn auf die Beine.
    Ihr Herz pochte heftig, und ihr Pulsschlag raste. Zunächst konnte sie keinen klaren Gedanken fassen. Gehetzt flogen ihre Blicke umher. Sie sah das Loch im Bühnenboden und Umberto Caligore, der an den Rand der Öffnung geeilt war und entsetzt hinabstarrte. Und sie sah Milo, der sich noch immer hoch über ihr auf dem Steg aufhielt – und von beiden Seiten angegriffen wurde!
    Cyn hielt den Atem an.
    Die Theaterdiener hatten die Leitern erklommen und näherten sich ihm von beiden Enden des Stegs, sodass der Fluchtweg versperrt war. Zumindest glaubten das Caligores Schergen – dass es noch einen anderen Fluchtweg gab, ging ihnen erst auf, als der Junge ein Seil ergriff und kurzerhand über das niedrige Geländer setzte.
    Cyns Herzschlag wollte aussetzen, als Milo ins Leere sprang, doch das Gegengewicht des Sandsacks am anderen Ende des Seils verlangsamte seinen Fall, und so schwebte er sanft zu Boden und landete nur wenige Schritte von ihr entfernt.
    »Ich weiß, ich sollte besser aufpassen«, meinte er lächelnd. »Jetzt habe ich auch Knochen, die ich mir brechen kann. Und jetzt komm!«
    Noch ehe sie etwas erwidern konnte, nahm er sie an der Hand und wollte mit ihr von der Bühne flüchten – als Cyn ihren Vater erblickte.
    Der alte Horace kauerte unweit von der Stelle, wo die Laterne die Bühne durchschlagen hatte, und blutete aus einer Stirnwunde – offenbar hatte er einen Holzsplitter abbekommen.
    »Vater!«, rief Cyn und stemmte sich gegen Milos Griff. »Ich muss ihm helfen!«
    Sie wollte sich losreißen, doch der Junge hielt ihre Hand unnachgiebig fest. »Später«, widersprach er. »Wir müssen fliehen! Siehst du nicht, was mein Vater vorhat?«
    Ein flüchtiger Blick zu Caligore, und Cyn erschrak.
    Der Herr der Schatten hatte die Arme beschwörend erhoben und war erneut dabei, Worte in jener dunklen fremden Sprache zu murmeln. Im gespenstisch grünen Licht, das durch den Bühnenboden drang, schien wabernder Rauch aufzusteigen, der sich zusehends verdichtete.
    Zu Schemen, die riesig groß waren.
    Die entfernt menschliche Formen hatten.
    Deren Arme lang und klauenbewehrt waren.
    Und aus deren Haupt gebogene Hörner wuchsen.
    Grimmlinge!
    Der Anblick der Gestalt annehmenden Unholde genügte, um Cyn zu überzeugen. Wenn auch widerwillig folgte sie Milo, der sie die Stufen zum Zuschauerraum hinab Richtung Ausgang zog.

25
    LICHT UND SCHATTEN
    Erst als sie das Foyer des Theaters erreicht hatten und die Tür zum Zuschauerraum hinter ihnen ins Schloss gefallen war, hielt Milo inne.
    »Danke«, hauchte Cyn atemlos.
    »Gern geschehen«, gab der Junge zurück. »Und jetzt geh!«
    Cyn sah ihn verblüfft an. »Und du?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich bleibe.«
    »Aber … was ist mit deinem Vater?«
    »Er ist böse auf mich«, gab Milo zu. »Aber früher oder später wird er mir verzeihen.«
    Eine Woge der Dankbarkeit durchflutete Cyn, gepaart mit leiser Zuneigung. Sie beugte sich vor und umarmte den Jungen, küsste ihn auf die Wange, die sich kalt anfühlte und fremd. Für einen Augenblick, der Ewigkeiten zu dauern schien, sahen sie einander an,

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