Spiel Der Sehnsucht
Mensch wird durch seine Erfahrungen in der Kindheit geprägt. Das hatte sie immer geglaubt, und als er ihr sein Gesicht zuwandte, das zu einer Maske der Bitterkeit und des Mißtrauens erstarrt war, war sie mehr denn je davon überzeugt. Seine Kindheit war wahrhaftig bitter gewesen. Er hatte Grund, allem und jedem - auch ihr - zu mißtrauen.
Ivan blieb neben dem Bett stehen. Seine Augen hefteten sich mit beängstigender Intensität auf sie. Das Fehlen jeglicher Wärme in diesen Augen machte Lucy frösteln.
»Also. Wo waren wir stehengeblieben?«
Lucy schüttelte den Kopf, und ihre Hände zerknitterten die Laken. »Ivan, wir müssen darüber reden. Ich ...«
»Nein, das müssen wir nicht.« Er streckte die Hand aus, erfaßte eine vorwitzige Locke ihres Haares und rollte sie um seinen Finger. »Nichts hat sich geändert. Darin zumindest hat die alte Füchsin recht. Du hast dir erheiratet, wovon jede Frau deiner Gesellschaftsschicht träumt: einen Mann mit einem Titel und so viel Geld, daß es ihm gleichgültig sein kann, wie klein deine Mitgift ist. Aber auch ich habe erheiratet, wovon jeder Mann träumt: eine wollüstige Dirne, die mir im Bett zu Willen ist. So betrachtet sind wir ein perfektes Paar.«
Ein Muskel zuckte in seiner Wange. »Nimm diese Laken weg! Ich will sehen, was ich für mein Geld gekauft habe.«
Lucy biß die Zähne zusammen und hob das Kinn. »So ist es doch nicht zwischen uns beiden.«
Sie fühlte den Zug auf ihrer Kopfhaut, als Ivan die Locke enger um seinen Finger wickelte.
»Nein? Dann sag mir, wie es zwischen uns beiden ist.
Niemand würde uns für ein Liebespaar halten. Mich zu heiraten war das letzte, was du wolltest - wie du mir schmerzlich klargemacht hast ...« Er ließ seine Augen über sie hinweggleiten, und obwohl Lucy noch immer die Laken vor sich hielt, bekam sie eine Gänsehaut. Ivan fuhr fort: »Was mich angeht, so wollte ich dich nackt in meinem Bett haben, sowie ich dich zum ersten Mal erblickt habe. Und jetzt habe ich dich in meinem Bett. So einfach ist das. Nimm das Laken weg«, wiederholte er mit gleichgültiger Stimme.
Doch so wenig Lucy ihren Eheschwur zurücknehmen konnte, so wenig konnte sie jetzt seiner Aufforderung Folge leisten. Ihr Zögern kümmerte Ivan nicht. Mit einem kurzen Ruck riß er ihr die Laken aus der Hand und setzte ihren Körper der kühlen Nachtluft und dem kalten Blick seiner Augen aus.
Lucy wollte weinen. Sie wollte sich bedecken und sich vor diesem nüchternen, prüfenden Blick verbergen. Wie konnte er sie so gefühllos behandeln? Sie wußte, daß er sich betrogen und hintergangen fühlte. Doch trotzdem -
wie konnte er sich ihr nähern, als wäre ihre Vereinigung nichts weiter als ein rein physischer Vorgang gewesen, etwa so, als würde man sich kratzen, wenn man einen Juckreiz verspürte?
Doch vielleicht war das wirklich seine Betrachtungs-weise, dachte Lucy traurig. Schließlich hatte nur sie sich in ihn verliebt, nicht aber er sich in sie. Also saß sie da, halb in die Kissen gelehnt, unnatürlich steif, während Ivan sie mit seinen Blicken betastete. Daß seine mitleid-losen Augen sie zu verbrennen schienen, machte sie nur noch elender.
Nein, so hatte es zwischen ihnen beiden nicht sein sollen.
»Spreiz deine Beine!«
Lucy schluckte schwer. »Warum tust du das?«
»Spreiz deine Beine!«
»Ich habe nie etwas mit den Plänen deiner Großmutter zu tun gehabt, Ivan, das weißt du. Ich habe mich immer gewehrt.«
Ivans Gesichtsausdruck wurde noch grimmiger. »Das hast du. Aber das zählt nicht. Die Unterbrechung durch meine Großmutter hat mich an etwas erinnert, das ich vorübergehend vergessen hatte: daß unsere Ehe wie alle anderen englischen Ehen ist, nämlich ein angenehmes Übereinkommen zwischen zwei Parteien. Du hast mir einmal vorgeworfen, ich würde meinen Reichtum und meine Titel dazu benutzen, mir zu verschaffen, was ich wollte. Wie es scheint, hattest du recht. Ich habe mir für meinen Namen und mein Geld eine Frau erhandelt -
dich. Und jetzt will ich etwas für mein Geld haben. Also los, spreiz die Beine. Zeig mir, was ich für mein Geld und meinen Namen bekommen habe.«
Mit einem Aufschrei des Schmerzes und der Wut rollte Lucy zur Seite. Sie konnte das nicht länger aushalten.
Doch Ivan war schneller und hatte kein Tüpfelchen Mitgefühl für sie.
Blitzschnell hatte er sie unter sich gefangen. Mit einer Hand ergriff er ihre Handgelenke und drückte sie über ihren Kopf. Mit der anderen löste er seinen Morgenmantel.
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