Spiel Der Sehnsucht
ließ, dann war dieser Erfolg überwältigend.
Lucy tanzte mit unzähligen Männern. Sir James gehör-te allerdings nicht zu ihren Tanzpartnern. Während der wenigen Momente, in denen sie sich in Sir James' Nähe aufhielt, schaffte es Ivan, wie durch Zauberhand aus dem Nichts aufzutauchen und ihre Aufmerksamkeit zu bean-spruchen.
Trotzdem tanzte Ivan nicht ein einziges Mal mit Lucy.
Er tanzte mit Valerie. Er tanzte mit jeder anwesenden unverheirateten jungen Frau und oft auch mit deren Müttern. Doch er tanzte nicht mit seiner eigenen Frau.
Hätte Lucy nicht ständig seine Augen auf sich gefühlt, so hätte sie durch seine scheinbare Vernachlässigung ihrer Person gekränkt sein können. Aber sie wußte, weshalb er nicht mit ihr tanzte - aus demselben Grund, der sie einen Tanz mit ihm fürchten ließ. Ihre gegenseitige körperliche Anziehungskraft war zu stark. Sobald er sie zum Tanz in seine Arme schließen und ihren Körper zu sich heranziehen würde, würde jedermann sehen können, daß ...
Sie verpatzte einen Schritt mit ihrem gegenwärtigen Tanzpartner, Alexander Blackburn.
»Einen Penny für Ihre Gedanken«, sagte Alex und glich ihren falschen Schritt so geschickt aus, daß keine Unterbrechung im Rhythmus entstand.
»Meine Gedanken?« Lucy vermied seinen wissenden Blick. »Es tut mir leid, wenn ich zerstreut erscheine. Ich habe mir nur überlegt, welche dieser lieblichen jungen Damen wohl als nächste in den Genuß Ihrer bezaubernden Gesellschaft kommen wird.«
Alex lachte, und Lucy wußte genau, daß er sich von ihrem Geplauder nicht blenden ließ. »Meine liebe Lucy -
oder sollte ich sagen, meine liebe Lady Westcott -, ich versichere Ihnen, daß ich Ihr Freund bin, ebenso wie Giles und Elliot.«
»Meine Freunde? Wenn das stimmt, so erklären Sie mir doch bitte, weshalb ich nahezu zwei Monate ohne meinen Ehemann auskommen mußte. Erklären Sie mir, weshalb er jetzt den aufmerksamen, fürsorglichen Gatten spielt. Erklären Sie mir, weshalb er einmal heiß und einmal kalt zu mir ist, warum er mich verwirrt zurückläßt und ...«
Erschrocken über ihren Ausbruch, hielt Lucy inne. Sie hatte zuviel getrunken, das mußte der Grund dafür sein.
Sie schaute zu Mr. Blackburn auf. »Ich hätte das alles nicht sagen sollen.«
»Warum denn nicht?«
»Ich bin Ihre Gastgeberin. Sie sind mein Gast - und Ivans Freund.«
»Trotzdem sind mir seine Schwächen gut bekannt.«
Wie es der Tanz gebot, trennten sie sich und umrunde-ten das nächste Tanzpaar. Als sie wieder zusammenka-men, hatte Lucy sich ein wenig gefaßt. »Können Sie mir sein Benehmen erklären?« fragte sie.
Alex zuckte mit den Schultern. »Nein, ich verstehe es nicht. Außer ...« Er betrachtete Lucy und fuhr fort: »Außer, daß er eine Heidenangst vor Ihnen hat.«
»Er hat Angst vor mir?« Lucy schüttelte den Kopf.
»Das ist doch lächerlich.«
»Logisch betrachtet, ist es das. Aber sagen Sie mir, gründen Ihre Gefühle für ihn auf Logik?«
Lucy starrte Alex verblüfft an. Als er zu grinsen begann, wußte sie, daß er ihre stumme Antwort vernommen hatte. Nein, ihre Gefühle für Ivan hatten nichts mit Logik zu tun. Doch ehe sie Alex über Ivans Gefühle für sie befragen konnte, wurde sie herumgewirbelt und landete direkt in Ivans Armen.
Alex grinste sie spöttisch an und nickte Ivan zu. Dann zog er sich aus dem Kreis zurück, und Lucy tanzte nun doch endlich mit Ivan. Einige Gäste lachten, jemand machte eine witzige Bemerkung über den eifersüchtigen frischgebackenen Ehemann. Doch Lucy hörte nicht darauf. Sie blickte nur in Ivans nachtblaue Augen und seine gleichmütigen Gesichtszüge und empfand den heftigen Wunsch, seine Selbstkontrolle aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Eifersüchtig? Ein eifersüchtiger Ehemann ließ seine Frau nicht zwei Monate alleine. Angst? Wovor? Er hatte eine schwierige Kindheit überstanden. Und jetzt besaß er alles, wovon die meisten anderen Männer nur träumen konnten: Er sah großartig aus, war sagenhaft reich, besaß einen Adelstitel und konnte jede Frau haben, die er wollte.
Und doch zählte das alles nicht, wenn man einsam war, sagte sich Lucy - wenn man nicht geliebt wurde.
Der Tanz führte sie auseinander, und während der wenigen Augenblicke, in denen sie getrennt waren, formte sich in Lucy ein Entschluß. Weder ihr Zorn noch ihre Leidenschaft sollten sie von ihrem Ziel ablenken. Jetzt, da sie darüber nachdachte, schien es ihr, daß Ivan diese Emotionen absichtlich in ihr weckte, um sich
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