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Spiel Der Sehnsucht

Spiel Der Sehnsucht

Titel: Spiel Der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
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aufflog und ein unangemeldetes männliches Wesen hereinstelzte, war Lucy sofort klar, daß dies der Graf sein mußte und daß Ärger in der Luft lag.
    Er war tatsächlich zu Hause und über die Ankunft seiner Großmutter nicht im geringsten erfreut.
    Trotz allem, was Lucy an ihm auffiel - seine schmalen, dunklen Gesichtszüge, sein glänzendes schwarzes Haar und seine hohe, breitschultrige Gestalt -, war es dieser Ohrring, der sie faszinierte. Ein blitzender Ring, in dem das Licht der Öllampe sich fing und der deutlich die Zigeunerabkunft des Grafen verriet. Das also war der Mann, vor dem sie Lady Valerie beschützen sollte.
    Lucys Knie wurden weich und ihr Mund trocken. Was hatte seine Großmutter über ihn gesagt? Er ist nicht ohne eine gewisse Ausstrahlung? Welch eine Untertreibung!
    Obwohl Lucy zugeben mußte, daß sie in den vergangenen Jahren wenig Umgang mit Männern gehabt hatte, war ihr auf der Stelle klar, daß dieser Mann mehr körperliche Anziehungskraft besaß als die halbe männliche Bevölkerung von London zusammengenommen.
    Doch dann öffnete dieser attraktive Mann seinen Mund: »Verschwinden Sie aus meinem Haus!«
    Lucy schnappte erschrocken nach Luft. Lady Westcott jedoch blickte unbewegten Auges ihren wütenden Enkel an.
    »Ich glaube, wir hatten erst kürzlich eine ähnliche Unterhaltung, und -auch damals sagte ich dir, daß ich mich nicht aus meinem eigenen Haus werfen lasse. Es steht dir frei, selbst zu gehen, wenn du das wünschst.«
    »Mein Wunsch ist es«, schnaubte der Graf und durchbohrte seine Großmutter mit Blicken, »Sie nie wiederzusehen.«
    Lady Westcott zuckte zusammen. Die Bewegung war kaum wahrnehmbar, doch Lucy bemerkte sie, und ihr Herz quoll über vor Mitleid mit der zerbrechlichen alten Frau.
    »Ihr Benehmen ist unmöglich!« rief sie empört und stellte sich neben ihre Gastgeberin. »Lady Westcott hatte einen langen, anstrengenden Tag. Das letzte, was sie jetzt braucht, ist ein derartiger Überfall in ihren eigenen Räumen. Haben Sie nicht gelernt anzuklopfen?« fragte sie in ihrem strengsten Gouvernantenton.
    Doch dieser unmögliche Mensch hielt es nicht einmal für nötig, Lucy anzusehen oder auf andere Weise erkennen zu lassen, daß er ihre zurechtweisenden Worte gehört hatte. »Ich habe Gäste«, fuhr er, weiterhin seine Großmutter anblickend, fort, »die nicht zu der Art gehören, mit der Sie sich abgeben. Und sie würden sich auch nicht mit Ihnen abgeben«, fügte er mit verächtlich gekräuselten Lippen hinzu.
    »Ich habe nicht die Absicht, deine Gäste zu begrüßen«, gab Lady Westcott kühl zurück. Doch Lucy bemerkte, daß sie verletzt war, und warf sich wieder für sie in die Bresche. Wie konnte der Graf so auf eine alte Frau losge-hen, die außerdem seine eigene Großmutter war! Und wie konnte er es wagen, sie wie Luft zu behandeln!
    Diesmal stellte sie sich vor die Gräfinwitwe hin, so daß er ihre Gegenwart nicht übersehen konnte. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diese Räume verlassen würden.
    Und zwar auf der Stelle«, fügte sie hinzu.
    Der junge Mann warf ihr einen eisigen Blick zu. »Falls Sie sich nicht aus einem triftigen Grund hier befinden, würde ich Ihnen raten, sich aus dieser Diskussion her-auszuhalten«, bemerkte er mit gefährlich leiser Stimme.
    »Ich bin hier aus einem - aus einem sehr triftigen Grund!« stieß Lucy hervor. Sie brannte vor gerechtem Zorn und verspürte doch gleichzeitig eiskalte Furcht.
    »Ich bin hier auf Einladung von Lady Westcott, und ich ...«
    »Dies ist nicht Lady Westcotts Haus, sondern meines.
    Und die einzigen Gäste, die ich hier dulde, sind meine eigenen.« Abschätzend musterte er Lucy von Kopf bis Fuß. Dann trafen seine kalten, blauen Augen ihre grünen.
    »Darf ich hoffen«, fragte er höhnisch, »daß Ihre Anwesenheit hier fleischliche Gründe hat und mich betrifft?«
    Da schlug sie zu.
    Es war ein Reflex, sie hatte es nicht gewollt. Aber es tat ihr auch nicht leid. Beklemmende Stille breitete sich aus.
    Er hat die Ohrfeige verdient, dachte Lucy. Jetzt blieb abzuwarten, wie er reagieren würde. Es ließ sich nicht abse-hen, wie ein so rücksichtsloser und haßerfüllter Mensch auf eine Ohrfeige reagieren würde.
    Er hob eine Hand zu seiner geröteten Wange, und Lucy, die sich vorgenommen hatte, tapfer zu sein, trat unwillkürlich einen Schritt zurück.
    Das Schweigen wurde schier erdrückend. Aus einem entfernten Flügel des Hauses wehten leise Klänge von Klavierspiel und Gesang herüber. Ansonsten

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