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Spiel Der Sehnsucht

Spiel Der Sehnsucht

Titel: Spiel Der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
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der Kutsche hinab, die vor dem Haus stand. Vier Pferde stampften ungeduldig in ihrem Zaumzeug.
    Lucy fragte sich, wer wohl zu solch unchristlicher Stunde angekommen sein mochte, während sie auf die noch im Halbdunkel liegende Straße hinabspähte. Doch obwohl sie ihr Gesicht fest an die Fensterscheibe preßte, konnte sie nicht genau sehen, ob jemand aus dem eleganten Fahrzeug ausgestiegen war. Ihre Neugierde steigerte sich. Obwohl sie wußte, daß das ungehörig war, hakte sie das Fenster aus und schob es vorsichtig hinauf.
    Das ist viel besser, dachte sie, während sie in der kühlen Morgenluft fröstelte. Sie lehnte sich gerade weit genug hinaus, um zu sehen, daß jemand zur Kutsche ging. Eine Frau, begleitet von einem Mann.
    Ivan Thornton! Diese schlanke Gestalt mit den breiten Schultern würde sie überall erkennen.
    Ja, er war es, zweifelsohne. Und nun, ohne darauf zu achten, daß jeder zufällig Vorübergehende ihn sehen konnte, nahm er die Frau in seine Arme und küßte sie!
    Küßte sie? Nein, als dieser Kuß kein Ende zu nehmen schien, bis Lucy fühlte, wie ihre Wangen sich röteten, wurde ihr klar, daß das Wort >Kuß< für dieses Ereignis, dem sie da heimlich beiwohnte, absolut unzureichend war. Er vergnügte sich mit einer Frau genau zwei Etagen unter ihrem Fenster, direkt auf seiner eigenen Vortreppe!
    Endlich ließ er die Frau los und half ihr in die abge-dunkelte Kutsche, was nicht ohne weitere Zärtlichkeiten und unverständliches Gemurmel abging. Lucy konnte ihre Augen nicht von der Szene abwenden, die sich ihr bot. Was für eine Frau war das, die die ganze Nacht im Haus eines Mannes blieb?
    Dummkopf, rief sie sich zur Ordnung. Jedermann, sogar die zurückgebliebene Landbevölkerung, wußte die Antwort. Es handelte sich um liederliche Mädchen, Nachtschattengewächse.
    Trotzdem hatte sie noch nie eine solche Frau gesehen.
    Sie schaute noch schärfer hin und versuchte, mit den Augen das Halbdunkel zu durchdringen. Doch gerade in diesem Moment zog die Frau sich zurück, die Peitsche des Kutschers knallte und die Pferde zogen an. Enttäuscht, daß sie das Gesicht der Frau, die sich mit dem dämonischen Lord Westcott eingelassen hatte, nicht hatte sehen können, zog Lucy den Kopf zurück. Sie war jedoch unachtsam genug, dabei in so heftige Berührung, mit dem Fensterrahmen zu kommen, daß sie einen lauten Schmerzensschrei nicht unterdrücken konnte. Zu ihrem großen Erschrecken wandte der Graf sein Gesicht nach oben.
    Sofort zog Lucy sich weiter in das Zimmer zurück, wie eine Schildkröte in ihren schützenden Panzer. Du liebe Zeit, hatte er sie gesehen? Hatte er sie erkannt? Würde er sie beschuldigen, ihm nachzuspionieren?
    Sie mußte sich zusammenreißen. Was war schon dabei, wenn er sie bemerkt hatte? Sie hatte nichts Unrechtes getan. Sie hatte lediglich ein Geräusch gehört und hatte nachgesehen. Er war es, der sich für sein Benehmen schä-
    men sollte, nicht sie.
    Sie schnaubte heftig. Was für ein närrischer Gedanke.
    Man mußte kein Prophet sein, um vorherzusagen, daß er sich nicht im geringsten schämen würde.
    Ihren schmerzenden Hinterkopf reibend, kletterte sie wieder in die hohe Bettstatt, stopfte sich ein Kissen in den Rücken und begann über ihren rätselhaften Gastgeber und sein unfreundliches Verhalten nachzudenken.
    Wahrscheinlich war er ein sehr einsames Kind gewesen, überlegte sie. Sie hatte gehört, daß er seiner Mutter weggenommen, von seinem Vater ignoriert und dann jahrelang in Burford Hall versteckt worden war. Er war, aus welchen Gründen auch immer, von jedem Erwachsenen, den er gekannt hatte, enttäuscht worden.
    War es da ein Wunder, daß er seine Großmutter haßte?
    Sie hatte ihm nie Liebe gezeigt. Es war eine von Lucys Theorien, daß ein Kind, das nicht geliebt wurde, ein Erwachsener werden mußte, der entweder nach Liebe hungerte oder sie völlig ablehnte. In welche Richtung hatte Ivan Thorntons unglückliche Kindheit ihn geführt?
    Obwohl Lucy sich sagte, daß sie das nichts anginge, konnte sie ihre Gedanken nicht von ihm ablenken. Wie hatte sich ein dunkelhaariges Zigeunerkind in das streng geregelte Leben eines Internats eingefügt? Was hatte er in den Jahren nach der Schule getrieben?
    Die Times hatte geschrieben, daß er sich vor seiner Titelübernahme im Ausland aufgehalten hatte. Doch war das wirklich die Wahrheit, oder war das nur ein Versuch gewesen, seine Unsichtbarkeit während einer Reihe von Jahren zu erklären?
    All ihre Überlegungen zerstoben

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