Spiel Der Sehnsucht
viel zu lange für Lady Antonias Ungeduld, die sie am liebsten an der Schulter gepackt und geschüttelt hätte. Doch schließlich nickte sie. »Gut. Ich werde mich in einem solchen Fall nicht einmischen.«
»Noch etwas«, sagte Antonia, die kaum ihre Erleichterung verbergen konnte. »Nachdem Sie meine Pläne für Ivan zunichte gemacht haben, müssen Sie eine Wiedergutmachung leisten.«
»Eine Wiedergutmachung?« fragte Lucy vorsichtig.
»In welcher Weise?«
Antonia zuckte die Schultern. »Halten Sie die Augen offen. Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie bemerken, daß er an einer der diesjährigen Debütantinnen Interesse zeigt.«
»Sie wollen, daß ich ihm eine Frau suche?« rief Lucy ungläubig.
»So würde ich es nicht nennen. Sie müssen keine Frau für ihn suchen. Wie Sie schon sagten, wird er sicher in der Lage sein, selbst eine zu finden. Ich möchte diesen Vorgang nur ein wenig beschleunigen. Einverstanden?«
Das sture Ding hätte am liebsten nein gesagt, das sah Antonia ihr an. Doch zum Glück siegte ihr Wunsch, in der Stadt zu bleiben, so daß sie am Ende seufzend zustimmte. »Einverstanden«, sagte sie mit gepreßter Stimme.
Sie hatten auch ein Einverständnis darüber erreicht, wer Ivans zukünftige Frau würde, dachte Antonia. Miss Drysdale wußte es nur noch nicht.
9
Die Modistin samt ihren Gehilfinnen kam um elf. Lucy tauchte kurz im Morgenzimmer auf, um die Vielfalt an Seide, Musselin und Satin, an Federn und Häkelspitze, an Knöpfen und Borten gebührend zu bewundern. Nachdem sie Valerie davon überzeugt hatte, sich auf Blau-, Weiß- und Rosatöne sowie auf ein sanftes Silbergrau zu beschränken, empfahl sie sich wieder.
Da Lady Westcott für Valeries extravagante Garderobe aufkam, war es nach Lucys Ansicht nur billig, ihr auch die Auswahl der Muster und Schnitte zu überlassen. Sie war froh, daß die Gräfinwitwe sie von dieser Aufgabe entbunden hatte.
Sie war nur um Haaresbreite ihrer Entlassung entgan-gen, und obwohl sie ihrer Arbeitgeberin noch immer mißtrauisch gegenüberstand, mochte sie doch keinen endgültigen Bruch herbeiführen. Schließlich wollte sie ihre Zeit in der Stadt so vorteilhaft wie möglich nutzen, und dazu gehörte, so hatte sie sich vorgenommen, sich bis zum Herbst eine neue Anstellung zu suchen.
Im Augenblick jedoch wollte sie sich auf die Vorlesung vorbereiten, die heute abend stattfinden sollte, und darauf, wie sie sich danach Sir James am besten nähern und ihn ansprechen könnte. War nur zu hoffen, daß sie auf seine Gegenwart nicht ebenso heftig reagierte wie auf die von Ivan Thornton.
Und weshalb dachte sie jetzt überhaupt an ihn?
Er und alles, was letzten Abend und diesen Morgen vorgefallen war, war das letzte, woran sie jetzt denken sollte.
Sie eilte die Treppe hinauf und schlüpfte in ihr Zimmer. Dort setzte sie ihr Hütchen auf und zog ihren Spenzer an. Sie wollte am Berkeley Square Spazierengehen, um ihre Gedanken zu ordnen. Als sie jedoch auf dem Weg zur Tür war, bemerkte sie auf ihrem Bett eine hübsch verpackte Schachtel.
Eine Schachtel - auf ihrem Bett!
Ihr Herz begann zu rasen. Das konnte nur Ivan gewesen sein.
Langsam ging sie auf die Schachtel zu und streckte ihre zitternde Hand danach aus. Er wird sicher nicht plötzlich aus der Schachtel springen, ermahnte sie sich.
Zweifellos verbarg sich ihr Umhangtuch darin, auch wenn diese Art der Rückgabe etwas protzig war.
Doch es war nicht der schlichte Wollschal, den sie seit vielen Jahren getragen hatte. Der Schal, der aus der Schachtel quoll, war aus exquisiter, schwerer Seide, in deren Fäden sich das Sonnenlicht fing.
Behutsam strich Lucy mit der Hand über den kühlen, schmiegsamen Stoff und die reiche Fransenborte. Er war wunderschön und mußte viel Geld gekostet haben.
Sogar die Farbe, ein tiefes Blaugrün, durchwoben mit Gold und Silber, war vollkommen.
Ehe sie gewahr wurde, was sie tat, hatten ihre Hände das Tuch aus der Schachtel gehoben. Es lag keine Karte bei, aber von wem anders als Ivan konnte der Schal sein?
Lucy seufzte und legte ihre Wange an den unglaublich weichen Stoff. Weshalb hatte er das getan? Er mußte doch wissen, daß eine unverheiratete Frau ein solches Geschenk von einem Mann nicht annehmen durfte. Doch wie sollte sie es zurückgeben? Es ihm durch einen Dienstboten bringen zu lassen hieße, das ganze Haus über dieses Geschenk zu informieren. Und es ihm selbst zurückzubringen, erschien ihr zu gefährlich. Auf keinen Fall wollte sie sich in die Nähe seiner
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