Spiel Der Sehnsucht
ausweinen. Doch auch Weinen würde nichts helfen: Sie saß wie eine Maus in der Falle.
Wenn nur Ivan nicht so eigensinnig auf dieser irrwitzi-gen Hochzeit bestünde. Und wenn Ivan kein Graf mit großem Vermögen wäre, würde Graham sie nicht so bedrängen. Was Ivans Motive betraf ...
Lucy kam zu dem Schluß, daß sie ungeschickt vorge-gangen war. Ivan hatte die Zurückweisung seines Antrags persönlicher aufgefaßt, als sie es beabsichtigt hatte.
Er war zu sehr in seinen Gefühlen verletzt gewesen, als daß er die sachlichen Gründe für Lucys Ablehnung hätte erfassen können. Sie wünschte sehr, ein Gespräch mit ihm unter ruhigeren, weniger emotional aufgeladenen Umständen führen zu können.
»Ich werde über das, was du gesagt hast, nachdenken«, schnitt sie Graham das Wort ab. Hortense blinzelte, und Lucys Mutter hörte auf, sich die Augen mit einem Taschentuch zu tupfen.
»Du solltest sehr gut darüber nachdenken«, gab Graham zurück und zupfte ungeduldig an seiner Weste.
»Ich glaube, ich werde mich ein wenig hinlegen«, sagte Lucy und unterdrückte eine schärfere Antwort. »Das Abendessen werde ich auf meinem Zimmer einnehmen«, fügte sie, zu Lady Westcott gewandt, hinzu und zog sich dann hastig zurück.
Doch als sie allein und ohne Ablenkung in ihrem Zimmer auf und ab ging, fühlte sie sich schlechter als zuvor.
In zwei Tagen sollte sie mit Ivan verheiratet werden. Das Haus stand Kopf infolge der Vorbereitungen, und in den Zeitungen waren Heiratsankündigungen veröffentlicht worden.
Lucy setzte sich auf die Fensterbank und starrte hinab auf die Straße. Warum sich gegen das Unausweichliche wehren? Jede andere unverheiratete Frau ihres Alters wäre aus dem Häuschen vor Freude, sich einen gutaussehenden, reichen Mann wie den Grafen von Westcott geschnappt zu haben. Bestimmt gab es viele junge Damen, die gern an ihrer Stelle gewesen wären. Er wehrte sich nicht gegen die Heirat, warum also sie?
Weil sie ihn liebte, er aber nicht sie.
Unglücklich seufzte sie. Es hatte keinen Zweck, sich noch länger etwas vorzumachen. Es war nicht nur Lust, die sie für Ivan empfand, nicht nur körperliches Begehren nach einem Mann, dem die Frauen zu Füßen lagen.
Nein, irgendwann war viel mehr daraus geworden. Er war nicht so rauh und verwegen, wie er sich gab, und auch nicht unempfindlich gegen Beleidigungen. Er war ein Mann, der die Liebe nie kennengelernt hatte und dem nicht bewußt war, daß er Liebe brauchte. Aber gerade das machte ihn für sie so liebenswert. Sie wollte ihn mit Liebe umgeben, ihn durch ihre Liebe beschützen, ihn durch diese Liebe glücklich machen.
Nur wollte er ihre Liebe gar nicht. Und was er ihr geben wollte, waren ein Titel, herrliche Häuser und ein großzügiges Taschengeld. Alles, was er dafür verlangte, war der Gebrauch ihres Körpers. Weiter würden seine Gefühle für sie nie gehen.
Diese bittere Wahrheit brachte sie zum Weinen.
Die Ungleichheit in dieser Beziehung machte ihr Angst. Zu lieben und nicht wiedergeliebt zu werden -
das würde sie nicht aushalten. Dieses Schicksal war unerträglich.
Sie wischte ihre Augen ab und blickte hinaus ins Zwielicht. Auf der anderen Straßenseite fuhr eine Kutsche davon, aus der ein Mann ausgestiegen war, der jetzt dastand und dem Gefährt nachsah. Lucy fühlte sich an die Nacht erinnert, in der sie beobachtet hatte, wie Ivan sich von jener Frau verabschiedet hatte, und ihr Herz wurde noch bedrückter.
Was sollte sie tun, wenn er nach der Hochzeit weiterhin solche Frauenzimmer traf?
Damit mußte sie rechnen, denn weshalb sollte er sich ändern? Vielleicht würde er sich sogar eine Geliebte halten, ja, vielleicht hatte er schon eine!
Ihr Magen begann sich nervös zu verkrampfen, und sie sprang auf. Sie versuchte sich einzureden, daß sie sich über etwas aufregte, wofür es keinen Anhaltspunkt gab, daß ihre Fantasie mit ihr durchging. Doch sie war macht-los dagegen.
Sie mußte Ivan sehen und noch einmal versuchen, ihn von dieser Heirat abzubringen, die sie beide nur ins Unglück stürzen konnte.
Es war gar nicht so schwer, Ivan zu finden. Lucy mußte nur heimlich einen der Stallburschen bestechen.
Lord Westcott hielte sich bestimmt bei Mr. Pierce und Mr.
Dameron in der Tyne Street auf, meinte der Junge. Er wollte sie hinbringen.
»Er ist bei Mr. Pierce? Bist du sicher?«
»Dort ist er oft, ebenso Mr. Blackburn. In dem Viertel leben viele Junggesellen.« Der Junge zögerte. »Wollen Sie wirklich dorthin gehen,
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