Spiel der Teufel
anheben,
so dass er gezwungen war, das Jammern, Flehen und Wehklagen
zu erdulden. Ich will hier raus, ich muss hier raus, ich habe
doch so viel zu tun, dachte er voller Panik, doch er versank
immer tiefer in den Innereien, bis er fast völlig von ihnen bedeckt
war und nur noch sein Kopf herausragte. Er öffnete die
Lippen, um zu schreien, aber sein Mund gehorchte ihm nicht,
kein einziger Laut drang aus seiner Kehle. Und da war auch
niemand, der ihm hätte helfen können.
Der blattlose Baum stand nur einen oder anderthalb Meter von
ihm entfernt, doch zu weit, als dass er sich an ihm hätte festhalten
und aus dem Graben herausziehen können. Er warf einen
Blick auf die andere Seite des Grabens und sah überall auf dem
Boden Geldscheine, die vorher nicht dort waren, und mit einem
Mal ging sein Blick zum Baum, an dessen Ästen statt Blättern
Geldscheine hingen. Doch sosehr er sich auch anstrengte, er
schaffte es nicht auf die andere Seite. Es war, als würden ihn
Arme und Beine festhalten und zwingen, bei ihnen zu bleiben.
Er schaute kurz an sich hinunter, und als sein Blick wieder nach
oben ging, sah er auf der anderen Seite einen Mann, der zu ihm
sagte: »Das ist es, was ich dir zeigen wollte.«
»Was?«
»Den Tod. Du siehst nur den Tod und kein Leben. Alles ist
tot.«
Und es war heiß und wurde immer heißer und heißer, bis er es
kaum noch aushielt und glaubte gleich zu verbrennen ...
Lennart Loose schoss hoch. Sein Gesicht war schweißüberströmt,
genau wie sein Unterhemd und das Laken. Im ersten
Moment wusste er nicht, wo er sich befand. Sein Atem ging
schwer wie nach einem langen Marsch bergauf, seine Füße
schmerzten, sein Hals war trocken, als hätte er laut geschrien.
Allmählich beruhigte sich sein Herzschlag, das Atmen fiel ihm
leichter. Kerstin lag neben ihm, eingerollt in ihre Decke, den
Rücken ihm zugewandt.
Er stand auf, ging in die Küche und trank ein Glas Wasser. Der
Traum war so lebendig wie noch vor wenigen Minuten, als er
geschlafen hatte. Du musst ruhig bleiben, dachte er, ganz ruhig.
Das sind nur die Nerven, nichts als die Nerven. Er schloss die
Augen und lief in der Küche auf und ab. Das Unterhemd, das
an seinem Oberkörper klebte, begann zu trocknen.
Nein, das sind nicht die Nerven, dachte er weiter. Das hat etwas
zu bedeuten, so wie viele Träume in der Vergangenheit
eine klare Bedeutung hatten. Manchmal warnten sie ihn,
manchmal zeigten sie ihm etwas Schönes. Doch dieser Traum
war anders. Er war nicht nur eine Warnung, er war mehr als
das. Doch was war die Botschaft? Dass er im Begriff war, etwas
Unrechtes zu tun? Dass er seine anfänglichen Bedenken über
Bord geworfen hatte, nachdem ihm gesagt worden war, wie
viel Geld er verdienen würde? Er wusste es nicht.
Was ist schlecht daran, wenn ich andern helfe? Ich habe einen
hippokratischen Eid geleistet, allen zu helfen, die meine Hilfe
benötigen. Nichts anderes tue ich doch, oder?
Loose setzte sich an den Tisch, das Glas vor sich, das er zwischen
seinen Fingern drehte. Er war müde und doch hellwach.
Die Bilder des Traums hatten sich in ihm festgebrannt.
Er stand wieder auf und holte sich einen Block und einen Stift
und schrieb den Traum, so grausam er auch gewesen war, in
allen Einzelheiten auf. Und er notierte, was ihm aus dem Gespräch
mit Koljakow in Erinnerung geblieben war.
Verletze ich meinen hippokratischen Eid, wenn ich für die Firma
arbeite? Nein, das tue ich nicht. Oder habe ich mich tatsächlich
von Koljakow blenden lassen, von seiner perfekt ausgestatteten
Klinik, von seiner freundlichen, höflichen Art, von
seinem weltmännischen Auftreten, seiner Offenheit?
Loose lehnte sich zurück, klopfte mit dem Stift auf den Block
und sah zur Decke. Dieser verdammte Traum, was hat er zu
bedeuten? Nach einer Weile las er die Zeilen noch einmal durch.
Er hatte kein Detail ausgelassen, und je länger er las, desto klarer
wurde das Bild, das sich ihm erschloss.
Es ist eine Warnung, die nur mich allein betrifft. Kerstin und
die Kinder kamen in dem Traum nicht vor. Aber was soll ich
tun? Würden sie ihre Drohungen wahrmachen, wenn ich nein
sage? Ich habe keine Ahnung.
Koljakow hat mich um den Finger gewickelt und mir eine
Menge Geld versprochen. Aber es geht uns doch gut, wir haben
alles, was wir zum Leben brauchen, viel mehr als die meisten
andern in diesem Land. Und das Glück stand uns immer
zur Seite. Sie haben gesagt, ich dürfe mit niemandem darüber
reden,
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