Spiel der Teufel
wollte, in den zu
blicken er aber seit gestern gezwungen war. Und er fragte sich,
wie tief dieser Abgrund war und ob dieser ihn nicht verschlingen
würde. Bestimmt hatte Ivana noch mehr zu berichten, vielleicht
schon heute Abend. Noch mehr Grausamkeiten, noch
mehr Dinge, die der menschliche Verstand nicht begreifen wollte.
Aber auch er hatte Fragen, auf die sie hoffentlich zufriedenstellende
Antworten hatte.
»Was denkst du?«, fragte Santos, während sie sich im Schneckentempo
durch eine Baustelle bewegten. Seit beinahe zehn
Minuten ging es stop and go.
»Ich muss die ganze Zeit an Gerd denken. Er war einer der
feinsten Kerle, die ich je kennengelernt habe. Er war kein Verbrecher,
er hätte nie etwas getan, das andern geschadet hätte.«
»Behauptet auch keiner. Dennoch gibt es ein riesengroßes Fragezeichen
hinter dem, was er in den vergangenen anderthalb
Jahren gemacht hat. Gerd war jedenfalls nicht der, als den du
ihn immer gesehen hast. Nicht Mr. Nice Guy.«
»Oh, auf einmal. Wie hast du ihn denn in der Vergangenheit
gesehen? Du hast doch selbst auch immer betont, wie nett er
ist. Du hast von ihm, von Nina und deren ach so toller Ehe
geschwärmt, wie gut die beiden sich verstehen und ergänzen
und, und, und ...«
»Geb ich ja auch zu«, entgegnete Santos ruhig, »aber seit gestern
muss wohl einiges relativiert werden.«
»Da muss nichts relativiert werden, wir müssen nur genau wissen,
was vorgefallen ist. Und jetzt Ende der Diskussion.«
DONNERSTAG, 13.40 UHR
Volker Harms und Frau Wegner unterhielten sich angeregt bei
einer Tasse Kaffee und blickten auf, als Henning und Santos
zur Tür hereinkamen.
»Schön, dass ihr da seid. Frau Wegner kennt ihr?«
»Natürlich«, sagte Henning und reichte ihr die Hand. »Wie
geht es Ihnen heute?«
»Nicht besonders gut, wie Sie sich vorstellen können. Aber ich
wollte sowieso gehen, das Wesentliche habe ich bereits von
Herrn Harms erfahren.«
»Darf ich trotzdem fragen, weshalb Sie mich sprechen wollten?«
»Mich hat nur interessiert, wie weit Sie bei Ihren Ermittlungen
gekommen sind. Es ist für mich unbegreiflich, was mit Gerd
passiert ist, und weil ich weiß, dass Sie sein Freund waren,
dachte ich mir, ich komme mal zu Ihnen.«
»Frau Wegner, hätten Sie noch ein paar Minuten, ich würde
mich gerne kurz mit Ihnen unterhalten. Unter vier Augen,
wenn es geht.«
»Selbstverständlich, es wartet sowieso keiner auf mich«, sagte
sie mit der Bitterkeit einer Frau, die auch den letzten Menschen,
den sie liebte, verloren hatte.
»Gehen wir in mein Büro, dort sind wir ungestört.«
Sie erhob sich und folgte Henning. Dieser bot ihr einen Stuhl
an und sagte: »Einen kurzen Moment noch, ich muss nur
schnell meiner Kollegin etwas sagen.«
Henning trat zu Santos und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
»Tut mir leid, aber ich möchte mit ihr allein reden. Ist nicht
persönlich gemeint.«
»Ich hab Volker genug zu berichten. Viel Spaß.«
»Den werde ich nicht haben. Was hat Frau Wegner gesagt, ihr
wart immerhin fast eine halbe Stunde zusammen?«
»Nicht viel. Wir haben uns über früher unterhalten, sie wollte
wissen, wie die Ermittlungen vorangehen, ob wir schon einen
Verdächtigen haben und so weiter. Ich konnte ihr natürlich nur
das sagen, was ich selber wusste. Von unsern Theorien habe ich
ihr aber nichts erzählt und auch nicht, dass Gerd womöglich
korrupt gewesen war.«
»Sonst nichts?«
»Was denn? Ihr haltet mich doch an einer extrem kurzen Leine
«, sagte er vorwurfsvoll.
»Lisa wird dich gleich auf den allerneuesten Stand bringen.«
Henning ging rüber und setzte sich nicht hinter seinen Schreibtisch,
sondern neben Frau Wegner. Sie trug schwarze Kleidung,
hielt die Beine eng geschlossen, auf den Oberschenkeln
die schwarze Handtasche, auf die sie ihre gefalteten Hände
gelegt hatte. Sie schien um Jahre gealtert zu sein. Henning
fielen die tiefen Furchen in ihrem Gesicht auf, besonders um
die Nase und den Mund, aber auch die dunklen Augenringe,
die sie zwar mit etwas Make-up zu kaschieren versucht hatte,
was ihr aber nicht gelungen war. Ihre Augen waren matt, fast
leblos, als sie Henning kurz ansah und gleich darauf wieder
zu Boden blickte.
»Frau Wegner, ich brauche ein paar Informationen zu Gerd.
Sind Sie bereit, mir ein paar Fragen zu beantworten?«
»Wenn ich Ihnen irgendwie weiterhelfen kann. Ich fürchte nur,
dass ich nichts weiß, was Sie weiterbringt«, antwortete sie
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