Spiel der Teufel
Patienten war lang, und
wer sich jetzt für eine OP anmeldete, musste mindestens drei
Monate warten, es sei denn, es handelte sich um einen Notfall.
Nach einem letzten Telefonat sprach Lennart Loose noch kurz
mit Frau Mattern, seiner Sekretärin, einer sehr ansehnlichen
Mittvierzigerin, die bereits für seinen Vater tätig gewesen war,
bis dieser vor zwei Jahren in den Ruhestand ging und die Leitung
der Klinik seinem Sohn übertrug, bevor er sich mit seiner
zweiten, dreiunddreißig Jahre jüngeren Frau in das neue Domizil
in Südspanien zurückzog.
Eigentlich hatte Loose die Klinik nicht übernehmen wollen, zu
viel Verantwortung war damit verbunden, zu viel Arbeit neben
seiner eigentlichen Tätigkeit als Chirurg. Aber sein Großvater
hatte diese Klinik unmittelbar nach dem Krieg mit aufgebaut,
und sein Vater, ein überaus dominanter und bisweilen herrischer
Mann mit Hang zur Tyrannei, hatte sie mit Hilfe von
Fördergeldern des Landes Schleswig-Holstein in den achtziger
Jahren erweitert und mit den damals modernsten Geräten versehen,
von denen einige aber längst hätten ausgetauscht werden
müssen, wofür jedoch die nötigen Mittel fehlten. Ein MRT der
neuesten Generation war nicht unter drei Millionen Euro zu
haben, die die Klinik nicht aufbringen konnte, der CT war
sechzehn Jahre alt, doch mittlerweile gab es Geräte, die wesentlich
detailgetreuere Aufnahmen lieferten. Viel Geld war in
einen Anbau investiert worden, womit die Klinik über mittlerweile
zweihundertzwanzig Betten verfügte.
Looses Vater hatte großen Wert darauf gelegt, dass vornehmlich
Privatpatienten behandelt wurden, obwohl natürlich auch
Kassenpatienten Zutritt fanden, schließlich war es keine Privatklinik,
und nun hatte er sie seinem Sohn übergeben und dabei
keinen Widerspruch geduldet. Loose hatte nur eine Bedingung
gestellt - dass er so wenig wie möglich mit Verwaltungsangelegenheiten
konfrontiert würde. Und obwohl diese
Bedingung erfüllt worden war, fühlte er sich auch heute noch
der Aufgabe eines Klinikleiters kaum gewachsen, was er seinen
Mitarbeitern jedoch nicht zeigte.
Loose war ein eher unsicherer Mensch, der erst dann seine Unsicherheit
ablegte, wenn er den Operationssaal betrat. Er war
ein Meister seines Fachs, ein Perfektionist, und er war sich dessen
durchaus bewusst. Mittlerweile galt er in Deutschland als
einer der besten Herzspezialisten. Schon als Kind hatte ihn alles
interessiert, was mit dem Inneren des menschlichen Körpers
zu tun hatte, eine Leidenschaft, die über zwei Generationen
hinweg vererbt worden war.
Loose war jedoch von Natur aus schüchtern und wenig durchsetzungsfähig.
In seiner Kindheit und Jugend wurde er häufig
von unerklärlichen Angstzuständen heimgesucht, die wie aus
dem Nichts auftauchten, meist aber genauso schnell wieder
weggingen, wie sie gekommen waren. Erst als er seine Frau
Kerstin kennenlernte, verschwand auch die Angst, die ihn sogar
während seines Studiums bisweilen behindert hatte, auf
Nimmerwiedersehen. Die Ursache für die Angst kannte er
schon lange - sein Vater. Er hatte stets über alles bestimmt und
niemandem in seinem Umfeld eine Chance gelassen, sich zu
wehren. Seine Mutter war eines Tages einfach auf und davon
und meldete sich erst einen Monat nach ihrem spurlosen Verschwinden
bei ihrem Sohn. Ohne seinem Vater davon zu erzählen,
traf er sich mit ihr in Paris, wo sie ihm verständlich
machte, dass sie die Familie verlassen musste, weil sie sonst an
dem tyrannischen Verhalten ihres Mannes zugrunde gegangen
wäre. Loose war zu diesem Zeitpunkt zweiundzwanzig Jahre
alt. Noch immer pflegte er einen sehr intensiven Kontakt zu
seiner Mutter, die häufig nach Kiel zu Besuch kam, aber in Paris
ihre zweite Heimat gefunden hatte. Sie hatte nicht wieder
geheiratet und schien mit ihrem jetzigen Leben sehr zufrieden
zu sein.
Frau Mattern schaltete den Computer aus, packte ihre Tasche
und verabschiedete sich von ihrem Chef, nicht ohne ihm noch
einen schönen Abend zu wünschen.
Loose hatte sich bereits seine Jacke übergestreift, als plötzlich
die Tür aufging und ein Mann und eine Frau ins Vorzimmer
traten.
»Ja, bitte?«, sagte Loose mit hochgezogenen Brauen, denn er
hatte einen langen und anstrengenden Tag hinter sich und wollte
nur noch zu seiner Familie und einen geruhsamen Abend
verbringen, das Aquarium säubern, ein wenig Musik hören
und sich mit seiner Frau unterhalten. Und später vielleicht,
wenn
Weitere Kostenlose Bücher