Spiel der Teufel
Mit dem Lieferwagen, mit dem er zusammen mit Alex
auch schon andere Ärzte abgeholt hatte.
Obwohl er mit Alex so viele Jahre verbracht hatte und sie zu
besten Freunden geworden waren, verschwendete er keinen
Gedanken mehr an ihn. Ihm war beigebracht worden, nie
zurückzusehen. Und daran würde er sich halten. Das Leben
ging für ihn weiter, doch er wusste, dass er sich nie einen
Fehler erlauben durfte, sonst würde es ihm ergehen wie Alex.
Nein, dachte er, ich werde nie einen Fehler machen. Es war
deine Schuld, ganz allein deine Schuld. Du bist schuld, dass
du tot bist, ich habe dir nur geholfen zu sterben. Und es
stimmt, du hast zu viel getrunken, und das ist in unserm Job
tödlich.
Er hielt an einem dänischen Imbiss, aß zwei Hotdogs und trank
einen Becher Kaffee dazu. Danach überquerte er die Straße
und betrat ein großes Mehrfamilienhaus aus den fünfziger Jahren,
in dem kaum einer den andern kannte, das hatte er längst
herausgefunden. Anonymität. Einer der wichtigsten Grundsätze
in seinem Geschäft. Seine Wohnung lag im zweiten Stock.
Auf dem Weg nach oben begegnete ihm eine junge Frau, die
ihn nur kurz ansah, als sie ihn leise grüßte. Er grüßte freundlich
zurück. Er hatte sie schon oft gesehen, doch nie in Begleitung
eines Mannes. Sie lebte allein, so viel wusste er von ihr, so wie
er wusste, wo sie arbeitete, dass sie jeden Abend gegen neunzehn
Uhr nach Hause kam und deutsche Schlager hörte, wenn
auch nicht laut. Er hätte sich ihr gerne einmal vorgestellt, einen
Kaffee mit ihr getrunken und noch mehr gemacht. Sie ist einsam,
dachte er wieder einmal, und vielleicht wartet sie nur darauf,
dass ich den ersten Schritt tue. Aber darauf muss sie lange
warten. Wenn ich eine Frau brauche, weiß ich schon, wo ich
hingehen muss.
Er schlief bis um fünfzehn Uhr, duschte und zog sich frische
Sachen an. Um sechzehn Uhr erhielt er einen Anruf, dass er
seinen neuen Partner, den er schon lange kannte, um Viertel
vor fünf abholen sollte. Um sechzehn Uhr dreißig verließ Peter
seine Wohnung und setzte sich hinter das Steuer des Lieferwagens
mit der Aufschrift eines Blumenladens.
MITTWOCH, 10.20 UHR
Büro von Kurt Ziese, Kommissariatsleiter Organisierte Kriminalität,
Menschenhandel, Prostitution.
Eine dicke Akte lag ausgebreitet auf dem Tisch. Ziese schrieb
etwas auf einen Block und bat Henning und Santos wortlos,
Platz zu nehmen. Als er fertig war, sagte er: »Hier, das, was ihr
wolltet. Ich hab's überflogen und konnte auf den ersten Blick
nichts Ungewöhnliches entdecken, doch vielleicht findet ihr ja
was. Gerd hat sehr akribisch Buch geführt. Aber lest selbst.«
Henning blätterte kurz in der Akte und sagte erstaunt: »Das
sind nur die letzten sechs Monate. War der immer so genau?«
»Das war Gerd. Da könnten sich die meisten andern in meiner
Abteilung eine dicke Scheibe von abschneiden.«
»Nicht nur in deiner Abteilung«, bemerkte Henning und dachte
an sich selbst und wie lange er bisweilen brauchte, um seine
Akten zu bewältigen. Mindestens zwanzig lagen unbearbeitet
auf seinem Tisch.
Ohne darauf einzugehen, meinte Ziese: »Es gibt nichts, was er
nicht dokumentiert hat. Wann er zum Dienst erschienen ist,
wann er gegangen ist, mit wem er unterwegs war. Hin und wieder
war er auch allein draußen, besonders in letzter Zeit.« Dabei
sah Ziese die vor ihm sitzenden Kollegen vielsagend an.
»Gab es dafür Gründe?«, fragte Santos.
»Natürlich gab es die, er hat sie zumindest aufgeschrieben.
Aber warum er in den vergangenen sechs Monaten immer öfter
allein auf Achse war, entzieht sich meiner Kenntnis. Außerdem
hat er in letzter Zeit recht häufig krankheitsbedingt gefehlt.
Aber immer nur für zwei Tage, das heißt, er brauchte keine
Krankmeldung ...«
»Augenblick, Gerd war öfter mal krank? Welche Krankheiten
hat er angegeben?«
»Das Übliche, grippaler Infekt, Durchfall, du kennst das ja.«
»Nein, das kenne ich nicht, weil ich seit knapp sieben Jahren
keinen einzigen Tag gefehlt habe.«
»Glückspilz. Ich werde mir gleich noch die weiter zurückliegenden
Akten zu Gemüte führen und schauen, ob da auch
schon was Ähnliches drinsteht.«
»Hinrichsen war doch sein Partner. Hat der nie was gesagt, ich
meine, wenn Gerd allein auf Tour war?«, fragte Henning, während
er weiter in der Akte blätterte.
Ziese schüttelte den Kopf. »Es ist ja nicht ungewöhnlich, dass
meine Leute allein losziehen ...«
»Halt mal, du hast
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