Spiel des Lebens 1
beides nicht so schnell, wie sie wollte, und schüttete hektisch ihre ganze Tasche auf dem Flur aus, bevor sie endlich Stift und Papier in der Hand hielt.
»Ein Jahr lang habe ich wirklich gelebt, den Rest meines Lebens habe ich gelitten. Durch deine Schuld. Darum gehe dorthin, wo dieses Jahr nach oben strebt und stelle dich dort zu dieser Zeit hin! Ich werde es sehen. Und denke daran: Du hast sehr wenig Zeit!«
Emily kritzelte hastig ein paar Notizen auf ihren Block.
»Wie viel Zeit?«, schrie Emily, doch da hatte der unheimliche Anrufer schon aufgelegt.
Sehr wenig.
Sehr wenig Zeit! Was war das für eine Angabe?
Matt hatte schon sein Funkgerät aktiviert, Jim sein Handy gezückt.
»Dieser Irre«, sagte Emily. »Er hat Drake in seiner Gewalt. Meinen Hund. Ich muss meine Mutter anrufen, oder die Haushälterin…« Sie versuchte zu wählen, doch ihre Finger zitterten so sehr, dass sie nicht mal den richtigen Namen im Adressverzeichnis eintippen konnte.
»Ich mach das schon«, meinte Jim und blickte zu Matt. »Du die Haushälterin!«
Matt nickte. Beide wählten.
»Niemand da«, sagte Matt.
Auch Jim schaute verdrießlich drein. »Bei mir geht auch keiner dran!«
»Verdammter Mist! Kommen Sie mit!«
Emily warf hektisch ihre Sachen in ihre Tasche und stürzte den Gang hinunter. Sie rief Ryan an. Er nahm nicht ab. Julia. Es klingelte. Dreimal. Viermal. Endlich meldete sich Julia.
»Emily, was ist los?«
»Dieser Irre«, keuchte sie, während sie rannte. Irgendetwas war aus ihrer Tasche gefallen, aber das war ihr egal. »Er hat sich schon wieder gemeldet. Mit einem Rätsel. Und ich habe keine Ahnung. Er will Drake umbringen! Kannst du sofort kommen? Bin gleich am Eingang des College.«
»Emily, bleib, wo du bist«, sagte Julia, und ihre Stimme klang so alarmiert, wie Emily es gar nicht von ihrer Freundin kannte. »Ich bin gleich bei dir. Bin sofort am Eingang.«
»Danke!«
Emily eilte weiter, ließ fast das Handy fallen, fluchte, tippte noch eine Nummer – und wäre fast in Julia hineingerannt.
Das ging schnell.
»Alles klar?«, fragte sie.
»Nein, nichts ist klar«, sagte Emily. »Wir müssen das Rätsel von diesem Irren lösen! Und einer von euch«, sie blickte die Bodyguards an, »fährt jetzt sofort nach Notting Hill zu uns nach Hause und schaut, wie es Drake geht.«
Beide schüttelten den Kopf. »Tut uns leid, Madam, aber wir haben den ausdrücklichen Befehl, Sie nicht aus den Augen zu lassen. Beide. Zu keiner Zeit.«
»Aber mein Hund!«, schrie Emily.
»Unser Auftrag ist, Sie zu schützen, nicht Ihren Hund«, entgegnete Jim tonlos und zog wieder sein Handy. »Wir werden die Polizei bitten, zu Ihnen nach Hause zu fahren.«
Emily startete noch einen Versuch, doch es nützte nichts. Die beiden würden immer stur den Anweisungen ihres Dads folgen. Genauso gut konnte man mit der Schwerkraft verhandeln. Und die Zeit drängte.
Zwei Minuten später standen Emily und Julia im Eingangsbereich des King’s College und brüteten über der Frage. Die Vorlesungen hatten begonnen, die Flure waren leer gefegt. Carter hatte sich bereit erklärt, eine Streife nach Notting Hill zu schicken, doch es würde einige Zeit dauern, bis die dort waren. Wer wusste, was der Irre bis dann schon mit Drake gemacht hatte? Und wer sagte, dass Drake überhaupt noch lebte?
Ein Jahr lang habe ich wirklich gelebt, den Rest meines Lebens habe ich gelitten. Durch deine Schuld. Darum gehe dorthin, wo dieses Jahr nach oben strebt und stelle dich dort zu dieser Zeit hin! Ich werde es sehen. Und denke daran: Du hast sehr wenig Zeit!
Was für ein seltsames Rätsel. Matt und Jim schienen zwar recht smart zu sein, wussten aber auch nicht so recht, was das Rätsel bedeuten sollte, und Julia hatte schon alle möglichen Freunde angerufen, aber auch keine Lösung gefunden. Jetzt hackte sie hektisch auf ihrem iPad herum, während Emily alle möglichen Varianten von der Höhe eines Jahres, was immer das sein sollte, in ihr iPhone tippte.
Jahr, Höhe, Höhe des Jahres …
Doch da kam nichts Brauchbares.
»Hast du Ryan schon erreicht?«, fragte Julia.
»Hab’s versucht. Mailbox.«
Sie tippte weiter auf ihrem iPhone herum, während Matt und Jim die Straße im Blick behielten.
»Was ist mit deinem Freund?«, fragte Emily.
»Meinst du Jonathan?«
Julia wählte die Nummer, dann schüttelte sie den Kopf. »Er ist vermutlich wie der Großteil der Studenten in einer Vorlesung. Oder gibt selbst eine. Scheiße!«
Emily blickte auf die Uhr.
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