Spiel des Lebens 1
und die gedämpfte Stimme im Hintergrund.
»Julia, bist du noch da?« Emily rechnete mit dem Schlimmsten.
»Er ist rausgegangen«, sagte Julia leise. »Frag nach dem Heizungskeller des College, beeil dich. Ich weiß nicht, wie schnell er zurückkommt. Zur Not frag den Hausmeister. Nein, das dauert viel zu lange. Komm so schnell es geht. Du hast doch die Bodyguards dabei? Nimm sie unbedingt mit.« Wieder eine Pause, Julias Stimme noch leiser, aber nicht weniger angsterfüllt. »Hör zu … oh Gott, oh Gott, er kommt zurück, er kommt – «
Dann war die Verbindung beendet.
Sicher nicht von Julia.
Julia.
In der Hand von diesem Monster.
Julia.
Ihre beste Freundin. Die sie seit Jahren kannte, fast schon seit Jahrzehnten.
Sie sah sie vor sich, auf Klassenfahrten, auf den ersten Partys, als sie einmal so betrunken gewesen war, dass Emily sie festhalten musste, während sie sich übergab. »Scheiße, das mach ich nicht noch mal«, hatte Julia damals gesagt, aber sie hatte es danach doch noch öfter getan. Auf ihrem iPhone hatte Emily ein Foto von sich und Julia in einer Gondel des London Eye, des Riesenrades an der Westminster Bridge, wie sie beide vor der untergehenden Sonne standen und in die Kamera winkten, die ein freundlicher, japanischer Tourist gehalten hatte.
Emily und Julia auf dem Abschlussball der Highschool, wo Emily sich an irgendeinem Haken an der Wand das Kleid aufgerissen und Julia das Ganze mit einem Tacker geflickt hatte, sodass es niemand bemerkte.
Julia. Auf all den Bildern der Erinnerung erschien dieses fröhliche Gesicht und die ManU -Fußballkleidung, und sie konnte Julias dreckiges Lachen hören.
Und jetzt sah sie nur noch einen dunklen Keller vor sich.
Gefangen.
Von diesem Irren, der sie in seiner Gewalt hatte. Und der Dinge mit ihr tun würde, die …
Emily schloss die Augen und versuchte, die aufkommende Panik unter die Oberfläche ihres Bewusstseins zu drängen.
Dann musterte sie Dave und Stuart.
»Wisst ihr, wo der Heizungskeller vom College ist?«, fragte sie Dave.
Der nickte. »Den finden wir schon.«
Sie rannten ins College. Dann rief sie Ryan an. Doch da meldete sich nur die Mailbox. Mit einem leisen Fluch steckte sie das iPhone in die Tasche.
»Wohin?« Emily blickte beide an.
Dave schien die Lage inzwischen gecheckt zu haben. Er zeigte zum Treppenhaus. »Dort drüben!«
* * *
Sie rannten durch zahllose, lange, muffige Korridore, an deren feuchten, moosbewachsenen Decken flackerndes Neonlicht brannte, so weit und so tief nach unten, dass sie das Rumpeln der U-Bahn in einiger Entfernung hören konnte. Dave lief vor, Emily hinter ihm, und Stuart bildete die Nachhut. Auf diese Weise kam ihr der Keller nicht ganz so bedrückend vor. Und wenn dieser Psychopath glaubte, Emily würde sich nicht in den düsteren Keller trauen, dann hatte er sich gehörig getäuscht. Julia war einer der wichtigsten Menschen in ihrem Leben, und wenn dieser Irre meinte, er könnte sein Spiel mit ihr treiben, dann hatte er Emily ordentlich unterschätzt. Ihre Wut war jetzt größer als ihre Angst, und das war ihr im Moment auch ganz recht.
Dave stoppte abrupt und sie wäre fast in ihn hineingelaufen. Die Tür vor ihnen war verschlossen.
»Was nun?«, fragte Emily.
Dave wühlte in seiner Tasche. »Ein guter Security-Mann kriegt jede Tür auf.« Er stocherte mit einem Schlüssel im Schloss herum.
»Hauptsache, ihr kriegt sie schnell auf!« Wahrscheinlich war es den beiden egal, was mit Julia war, falls sie von dem Telefonat überhaupt genügend mitgekriegt hatten. Schließlich hatten sie ja die Anweisung, nur auf Emily aufzupassen. Aber sie würde ihnen schon Beine machen.
»So, offen!« Dave stieß die Tür auf und setzte zu einem Lächeln an, was aber misslang, weil er rülpsen musste. Ein bisschen seltsam waren die beiden ja, wurde Zeit, dass Matt und Jim wieder an der Reihe waren.
Aber zumindest war die Tür offen. Und nur das zählte. »Also los«, sagte Dave und ging hinein.
Emily folgte ihm – und wunderte sich kurz, als Stuart draußen vor der Tür stehen blieb. Dann spürte sie plötzlich die Hand von Dave, der sie mit brutaler Kraft in die Mitte des Raumes stieß. Sie versuchte, sich irgendwo festzuhalten und fand balancierend ihr Gleichgewicht wieder. Im selben Augenblick war Dave schon aus dem dunklen Keller herausgesprungen. Ein Lidzucken lang sah sie noch die Gesichter der beiden.
Dann knallte die Tür zu.
Und sie war in der Dunkelheit gefangen.
28
Wie war Julia?«, fragte
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