Spiel des Lebens 1
Amseln, die sie neugierig und ein wenig argwöhnisch beäugten.
»Weiter, schneller!«, rief Carter. Bloom hatte Schwierigkeiten, auf ihren hohen Absätzen hinterherzukommen, und fiel ein wenig zurück.
Emily blieb dicht hinter Carter. Wenn sie ihn jetzt schnappten. Wenn sie ihn jetzt kriegen würden, dachte sie die ganze Zeit.
»Da vorn muss er sein!« Carter fixierte eine mittelgroße Gestalt, die neben einer Bank auf dem Rasen stand.
»Was?«, rief er ins Telefon. »Weiter nach Osten? Aber da ist … ?«
Sie bogen nach rechts ab und standen schließlich vor einer Bank mit einem Mülleimer.
»Hier soll es sein?«, schimpfte Carter. »Verdammt noch mal, hier ist doch niemand!«
Matt beugte sich vor und spähte in den Mülleimer. »Einen Augenblick mal.«
Alle schauten über den Rand des Mülleimers, als würde sich dort der Heilige Gral verbergen. Matts Hand griff nach unten. Als seine Hand wieder nach oben kam, hatte er ein Handy in der Hand – ein Handy, an dem ein Funkgerät befestigt war.
Carter warf wütend sein eigenes Handy auf den Rasen.
»Verdammter Mist!«, fluchte er. »Er hat über das Funkgerät in das Handy gesprochen.«
Alle starrten enttäuscht auf Handy und Funkgerät, das Matt in den Händen hielt.
Detective Bloom hatte sie nun auch eingeholt und stolzierte verkrampft über den feuchten Rasen, als würde sie ein unsichtbares Glas Wasser auf dem Kopf balancieren. Dabei schaute sie durch ihre Eulenbrille verwundert auf den Fund, den Matt gerade aus dem Mülleimer gezogen hatte.
Plötzlich ertönte eine Stimme. Direkt aus dem Funkgerät. Und Matt wären Gerät und Handy fast aus der Hand gefallen.
»Pech gehabt«, sagte die Stimme. »Das Spiel geht weiter.«
Und dann war nichts mehr zu hören.
* * *
Er stand am Eingangstor zum Hyde Park, nahe der Knightsbridge-U-Bahn-Station, und legte das Fernglas an die Augen. Er beobachtete Carter und sein verärgertes Gesicht, Carter, der das Funkgerät anschaute, als hätte er ein Gespenst gesehen. Er sah Bloom, Matt und Jim, die er gestern zum Narren gehalten hatte, sah die zwei Constables, und er sah Emily. Sah ihre Augen, in denen sich Erstaunen und Angst gleichermaßen spiegelten. Er hatte den Verdacht, dass sie sich zwar einerseits erschrocken hatte, seine Stimme schon wieder zu hören, andererseits aber vielleicht sogar ein bisschen froh darüber war, dass Carter und die anderen seine Stimme nun ebenfalls gehört hatten. Damit man ihr glaubte und sie mit dieser Sache nicht länger auf sich allein gestellt war. Doch das war ein Trugschluss. Das Geheimnis, dass sie teilten, verband sie stärker als Liebende, stärker, als dass irgendjemand sich zwischen ihn und Emily schieben konnte.
Sein Siegelring reflektierte das Morgenlicht.
Carter und die Polizei hatten seine Stimme gehört. Dadurch, dass er sich sogar mit der Polizei anlegte, würde er für Emily zu so etwas wie einer unheimlichen Macht werden, mächtig, gefährlich und unsichtbar. Und je stärker und gefährlicher er wurde, desto mehr würde Emily das Geheimnis lösen wollen, das sie beide verband. Und umso mehr würde sie ihm gehören.
Er hatte Gnade vor Recht ergehen lassen, hatte sie aus dem dunklen Keller erlöst, obwohl sie die Aufgabe nicht bestanden hatte. Das lag daran, dass noch weitere Aufgaben vor ihr lagen. Der Zeitpunkt, wenn es richtig ernst werden würde, würde schon noch früh genug kommen.
Sehr bald würde sie nur noch ihm gehören. Sehr bald würde ihr letzter Tag anbrechen.
Sehr bald würde sie verstehen, warum das Wasser brannte.
Es würde jetzt nur noch ein paar Sekunden dauern, bevor die Polizei das zweite Funkgerät lokalisiert hatte. Er legte das Funkgerät unauffällig auf die Trittfläche eines haltenden Busses und nahm ein Taxi in die entgegengesetzte Richtung.
31
J ulia stand mit gepackten Koffern in ihrem Zimmer.
»Wo willst du denn hin?«, erkundigte sich Emily.
»Wo ich hin will?« Sie warf hektisch ein paar Bücher in eine Tasche, die auf ihrem Bett lag. »Weg! Hier ist es mir mittlerweile zu gefährlich.«
»Es tut mir so leid, Julia«, sagte Emily. »Es ist alles meine Schuld.«
»Nein, ist es nicht«, beruhigte Julia sie und wischte sich eine Träne aus dem Auge. Sie räumte ihre Zahnputzsachen vom Waschbecken und ließ sie in einer Kulturtasche verschwinden. »Es ist die Schuld von diesem Verrückten. Und er hat es nicht nur auf dich abgesehen, sondern auf uns alle.«
Sie blickte Emily an.
»Und du solltest dir das auch noch mal
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