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Spiel des Lebens 1

Spiel des Lebens 1

Titel: Spiel des Lebens 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Etzold Veit
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und das Gesicht von Dr. Johnson mit dem struppigen Bart verschwamm allmählich und wurde eins mit dem Licht und den seltsamen Klängen.
    Lassen Sie sich von den Wellen treiben.
    Schauen Sie in das Licht.
    Folgen Sie meinem Finger.
    Lassen Sie sich von den Wellen treiben.
    Es war ihr, als würde sie in einem Boot auf dem offenen Meer treiben. Es schaukelte, doch das Meer war kein feindliches Meer. Irgendwie war es wie eine Heimkehr.
    Schauen Sie in das Licht.
    Das Licht, das grell und schrecklich sein konnte, oder das warme Sonnenlicht, das sie die letzten Tage auf den Bäumen des Lambeth Palace Parks nahe dem Wohnheim gesehen hatte.
    Folgen Sie meinem Finger.
    Sie sah den Finger und hörte Johnsons Stimme, die weit entfernt, aber dennoch deutlich und nah zu ihr sprach.
    »Ihr Körper wird schwer, Ihre Augen werden schwer, Ihre Lider sind wie Stein. Sie wollen schlafen. Schlafen und träumen. Schlafen und träumen.«
    Eine bleierne Müdigkeit ergriff von Emily Besitz, und es war so wie in den Momenten, in denen man allmählich in den Schlaf abgleitet. Doch trotzdem war sie noch wach. Hörte die sonore Stimme Dr. Johnsons, roch den Rauch der Räucherstäbchen.
    Es war ein Halbschlaf, in dem man träumte und gleichzeitig wach war. Sie hatte diesen Zustand hin und wieder in den frühen Morgenstunden erlebt. Und manchmal war es sogar möglich, selbst zu bestimmen, was man träumte. Das war wunderschön, und einige Male war es Emily schon gelungen.
    Lassen Sie sich von den Wellen treiben.
    Schauen Sie in das Licht.
    Folgen Sie meinem Finger.
    »Sie sehen ein Licht«, sagte die Stimme von fern. »Sie sehen meine Finger. Was sehen Sie noch vor sich?«
    »Ich sehe mehr Licht«, sagte Emily und, sie wusste nicht, welche Stimme da gerade sprach. War sie das noch, oder sprach jemand anderes? Vielleicht hätte sie Angst haben sollen, doch dafür war sie zu müde, zu entspannt. Ihr Pulsschlag und die Atmung wurden langsamer und tiefer. Und ihre Augenlider waren schon längst wie schwere Jalousien nach unten gesackt.
    »Ich sehe mehrere Lichter«, sagte sie.
    »Was für Lichter?«
    »Sterne«, sagte Emily. »Ich sehe Sterne. Große und kleine … «
    »Was sehen Sie noch?«
    »Ich sehe Augen. Ein paar Augen. Noch ein paar. Und noch ein paar. Und dann … «
    Irgendetwas war dort, was in ihrem Bewusstsein geschlummert hatte wie ein bösartiger Untoter in einem verschlossenen Grab. Ein Grab, das seit Jahren verschlossen war und verschlossen bleiben sollte. Dann kamen einzelne Bilder, Schnappschüsse, die sie nicht einordnen konnte, und die sie gleichzeitig warnten, jetzt sofort aufzuhören. Denn sonst würde sie etwas sehen, was sie nicht sehen wollte. Oder nicht sehen sollte. Oder beides.
    Doch sie machte weiter.
    Bunte Schatten tanzten vor ihren Augen, flogen nach oben. Sie selbst als kleines Mädchen. Sie trug ein rotes Kleid, irgendwie wusste sie, dass es ihr Lieblingskleid war. Dann ein Auto. Sie war in dem Auto. Es war nicht das Auto ihrer Eltern. Konnte es gar nicht sein. Die Sitze waren aus Stoff und verdreckt. Das Lenkrad sah auch ganz anders aus. Und Fremde waren dabei. Dann sah sie ihre Eltern. Ihre Mutter mit den rotblonden Haaren. Ihren Vater, ein wenig hagerer und jünger, wieder in schwarzer Hose und weißem Hemd. Und sie waren groß. Viel größer als heute. Oder war sie nur kleiner gewesen? War es real oder sah sie nur ein Foto? Dann wieder die Fremden.
    Dann entdeckte sie den Jungen. Er stand dort bei ihren Eltern. Und lächelte sie an. Und sie weinte. Konnte nur weinen, während der Junge, den sie nicht kannte, dort mit ihren Eltern stand und lächelte. Lächelte. Lächelte.
    Dann fuhr das Auto los.
    Und sie war allein.
    Sie sah die bunten Schatten.
    Und die Luftballons!
    Luftballons!
    »Neeeein«, schrie sie plötzlich.
    Sie schrie noch einmal, doch noch immer war sie in einem Meer aus Luftballons, die sich über ihr zusammenschlossen. Unter ihr waren Luftballons, bis zum tiefsten Abgrund, über ihr bis zum Himmel. Und sie versank darin, konnte sich nicht befreien.
    Emily!
    Dann wieder das Auto. Dann die Fremden. Die Rückbank. Das Lenkrad. Und wieder die Luftballons.
    Sie müssen aufwachen!
    Gelbe Luftballons. Rote. Grüne. Blaue.
    Wachen Sie jetzt auf!
    Sie riss die Augen auf und sah das Gesicht von Dr. Johnson vor sich, der ihre Schläfen umfasst hatte und dessen wasserblaue Augen sie fixierten.
    Wo war sie? Die Stuckdecke. Das Licht. Der Ledersessel.
    Schweiß lief ihr über die Stirn, und ihre Hände

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