Spiel des Schicksals
unserer Rechten stürzte plötzlich ein Eselskarren um, und tausend Orangen hagelten auf uns nieder. Ich schrie auf und spürte, wie ein Körper gegen mich fiel. Der stämmige Amerikaner ließ meinen Arm für einen Moment los, versuchte ihn wieder zu fassen, griff aber daneben, da er beiseite gestoßen wurde. In heillosem Schrecken, da ich an den dicken Mann hinter mir dachte, streckte ich meine Arme nach Ednas Mann aus. Doch eine riesige Menschenwoge riß uns endgültig auseinander. Ein noch größeres Chaos brach aus, Esel brüllten, ein Stand mit Töpferwaren stürzte krachend zusammen, Frauen kreischten und Männer schrien. Als nächstes flog mir der Hut vom Kopf, und mein Haar fiel mir auf die Schultern herunter. Unwillkürlich hielt ich meine Hand fest an den Schakal gepreßt, der mir in die Seite stach. Als ich immer weiter von der amerikanischen Reisegruppe fortgerissen wurde, wußte ich, daß ich um mein Leben würde kämpfen müssen. Ich wurde herumgestoßen und beiseite gedrängt; dauernd trampelte mir jemand auf die Füße; meine Handtasche wurde mir beinahe vom Arm gerissen. Ich suchte blindlings nach einem Ausweg, aber es gab keinen. Als ich verzweifelt versuchte, der Raserei der Menge zu entkommen, und schon glaubte, daß mir jeden Augenblick die Beine versagten und ich vielleicht niedergetrampelt würde, packte mich jemand von hinten um die Hüfte und begann mich zurückzuziehen. »Nein!« hauchte ich atemlos. Ich versuchte dagegen anzukämpfen, aber ich war zu schwach. »Bitte nicht…« Er war zu stark für mich. Er hielt meine Arme fest und zog mich aus der Mitte des Pöbelhaufens. Ich konnte nichts tun. Ich schrie, aber niemand hörte mich. Während ich trotz meiner Versuche, mich zur Wehr zu setzen, immer weiter zurückgetrieben wurde, sah ich, daß wir den Rand der Menge erreichten und auf eine enge Gasse zustrebten. »Bitte!« heulte ich, mich in seiner Umarmung windend. Durch meinen Kopf schoß der rasende Gedanke: Nein, nicht so. Es kann nicht alles so enden! Und ich dachte an Dr. Kellerman und versuchte verzweifelt mich loszumachen. Außer Sichtweite der Menge hielt mein Gegner plötzlich inne und wirbelte mich herum. Ich starrte ungläubig in die wutentbrannten Augen von Achmed Raschid. »Sprechen Sie nicht. Wir müssen uns beeilen.« Er ergriff meine Hand, und zusammen stürmten wir durch die dunkle Gasse davon, weg vom Chaos des Muski. Wir rannten über das Kopfsteinpflaster, flitzten um schlafende Esel herum, ließen Bettler aus ihrem Nickerchen hochfahren und liefen, bis wir nach Luft schnappten. Als ich anfing zu stolpern und mich nur noch von Achmed Raschid ziehen ließ, mündete die Gasse in eine sonnenbeschienene Straße, wo ein schwarz-weißes Taxi stand.
Ohne ein Wort riß Mr. Raschid die Tür auf, stieß mich hinein und stieg nach mir ein. Er sagte zu dem Fahrer etwas auf arabisch, und der Wagen schoß davon.
»O Gott!« heulte ich und verbarg mein Gesicht in den Händen. »O Gott! O Gott!«
Raschid legte seinen Arm auf meine Schulter, aber er sprach nicht. Tränen strömten mir über die Wangen, Tränen der Erleichterung, Tränen der Angst und Tränen der Erschöpfung. Mein ganzer Körper zitterte und bebte. Ich warf meine Sonnenbrille auf den Boden, schluchzte noch etwas weiter, holte dann tief Atem und setzte mich schließlich aufrecht hin. Ich rieb mir mit den Fäusten die Augen, bevor ich zu Mr. Raschid aufsah. Ich bedauerte sofort, den Blick riskiert zu haben.
Während er noch immer den Arm um mich gelegt hatte, starrte Achmed Raschid mich mit nahezu ungezügelter Wut an. Seine Augen glühten vor Zorn, glänzend und geweitet wie die eines Fieberkranken. Seine Lippen bildeten einen schmalen Strich. Sein ganzes Gesicht war wutverzerrt.
Das Taxi raste unter Nichtbeachtung jeglicher Verkehrsregeln durch die überfüllten Straßen, überfuhr rote Ampeln, scherte vor Fußgängern plötzlich aus und gewährte anderen Fahrern keine Vorfahrt. In Ägypten schien die Hupe vollkommen die Bremsen ersetzt zu haben, so daß niemand vor nichts haltmachte; man sprengte sich regelrecht seinen Weg frei. Ich preßte meine Füße auf den Boden und hielt mich an der Lehne des Vordersitzes fest, als wir uns ruckend und ratternd einen Weg durch die überfüllten, engen Straßen bahnten. Meine Erleichterung war unermeßlich, als wir endlich an einem vertrauten Ort ankamen. Und dieses war das erste und einzige Mal, daß der Fahrer auf die Bremse trat. Als wir vor Mr. Raschids Wohnung hielten
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