Spiel des Todes (German Edition)
kühler
Berechnung, für ihn war es eine Sache der Intuition.
Clara hatte das Gefühl, dass der Wind durch seinen Körper fuhr, noch
bevor er die Segel erreichte. Sie saß zu seinen Füßen und schlang zärtlich die
Arme um seine nackten Beine.
Das Geräusch der Wellen unter dem Kiel und des Windes in den Segeln,
das Vibrieren der Leinen und das leichte Knarren der Planken im Verein mit dem
Rauschen der Kielspur, die das Ruderblatt hinterließ – alles war geschaffen für
das vollkommene Glück. Der sonnige Morgen lag sanft über dem Meer, und Clara
fühlte die Harmonie der Natur, schmeckte den salzigen Wind mit dem Aroma von
Algen und Seeigeln.
Die Umrisse des Festlands waren deutlich zu erkennen. Hinter der
Küstenlinie sah man Bergketten in blauem Dunst, nach Norden erstreckten sich
Badestrände, und nach Süden reihten sich unberührte Buchten und steile Klippen
sowie mit Pinien und weißen Villen bestandene Hügel in den rötlichen Tönen des
für diese Gegend einzigartigen Tosca-Sandsteins aneinander. Fast widerwillig
steuerten Luger und Clara den Hafen an, um sich auf die Hochzeitszeremonie
vorzubereiten.
Nach der Hochzeit blieben sie nicht untätig. Luger ließ eine
Flugreise für sie beide First Class nach San Francisco buchen. Während ganz
Deutschland dem Halbfinale gegen Italien am 4. Juli entgegenfieberte, zog Clara
ihren Adrian aus dem Taxi an der Hand hinter sich her, bis sie zu einem
fünfstöckigen Haus kamen, dessen Fenster sämtlich mit Geranien geschmückt
waren. Sie traten durch einen pompösen Eingang und überwanden alle Hürden, die
sich ihnen in den Weg stellten: den altmodischen Aufzug, das gedämpfte Licht in
den Gängen, den schwarzen Kater, der beim Anblick des Pärchens einen Buckel
machte und feindselig miaute, eine abenteuerlich aufgeputzte Blondine, von der
man nicht wusste, ob sie Frau war oder Mann, eine blau übermalte Eingangstür
zur Wohnung mit geschnitztem Rahmen.
Die Wohnung war eine von Hunderten, die dem Niederlassungsleiter der
Luger Bank in den USA gehörten.
Wenn es nach Adrian Luger gegangen wäre, hätten sie selbstverständlich in einem
der mondänen Hotels in der Stadt eingecheckt, dem Mandarin Oriental zum
Beispiel. Doch Clara hatte auf Selbstständigkeit und möglichst wenig Trubel
bestanden.
Die Wohnung befand sich am westlichen Ende der Chestnut Street,
gleich unterhalb der Lombard Street. Man hatte einen herrlichen Blick hinunter
zur Fisherman’s Wharf und zum Pier Thirtynine.
Doch dieser Blick interessierte keinen. Bei offener Balkontür mit
all den Straßengeräuschen und dem Hupen der Schiffssirenen warfen sich Luger
und Clara eng umschlungen aufs Bett, rissen sich die Kleider vom Leib, und je
mehr vom Körper des anderen zu sehen war, desto wilder wurde ihre Leidenschaft,
die sich für Augenblicke nach innen kehrte, um gleich darauf wie ein Orkan umso
heftiger wieder hervorzubrechen. Claras Lustschreie hätte man bis auf die
Straße hören können, wäre es draußen plötzlich stiller gewesen. »Was ist da
oben los?«, hätte vielleicht ein Fahrgast gefragt. »Ach nichts«, hätte dann der
Taxifahrer geantwortet. »Nur ein Paar, das Spaß am Leben hat. Selten genug
heutzutage.«
Luger suchte und fand mit der Zunge die drei Muttermale an Claras
linker Halsseite, während sie einen rötlichen Leberfleck unter seiner rechten
Brustwarze entdeckte. Doch Clara fand nicht einmal die Zeit, sich darüber zu
freuen, weil Luger sie zum x-ten Mal mit überwältigender Macht und Leidenschaft
nahm. Es war wie ein Tsunami, der die beiden überflutete und ihr ganzes Denken
fortspülte.
Sie nannten die Reise nach San Francisco keine Hochzeitsreise, aber
selbstverständlich war sie eine. Clara hatte nicht lange nach einem Betreuer
für Emil suchen müssen. Lola hatte sich sofort bereit erklärt, sich um den
niedlichen kleinen Kerl mit den schwarzen Knopfaugen zu kümmern. Ein paar
Salatblätter am Tag, eine eingeweichte Semmel, zwei Kalktabletten, ab und zu
die winzigen Kotkügelchen vom Parkett entfernen, mehr braucht eine
Tannenzapfenechse nicht, um glücklich zu sein. Emil konnte sich frei in der
Wohnung bewegen, hatte Lola sofort akzeptiert und schleppte sich kriechend
hinter ihr her. Lola ihrerseits fand Emil »zum Anbeißen«.
Der nächtliche Glanz der großen Stadt leuchtete, als Clara und Luger
sich aufmachten, ein Lokal zu suchen. Sie aßen in einem ziemlich vornehmen
chinesischen Restaurant am Union Square. Der Laden war voll, aber niemand
konzentrierte
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