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Spiel des Todes (German Edition)

Spiel des Todes (German Edition)

Titel: Spiel des Todes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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durchstechen lassen.
    Er stützte sich gegen den Birnbaum mit den rötlich gelben reifen
Früchten. Fast versagten ihm die Beine. Nach einer Minute setzte er behutsam
einen Fuß vor den anderen, durch die Sommerblumen hindurch zum hinteren Garten,
ständig mit den Augen am Boden. Schließlich stieß er auf eine Gartenschere. Sie
lag zwischen zwei Keramiktöpfen mit blauroten Fuchsien. Nie im Leben hätte Lola
das Werkzeug so achtlos liegen gelassen.
    Die Vorstellung, Lola könnte etwas zugestoßen sein, brachte ihn fast
um. In Sekundenschnelle jagten die Bilder ihres gemeinsamen Lebens durch sein
Hirn. Mit fast täglicher sportlicher Betätigung hielten er und Lola sich fit –
Joggen, Berggehen, Skifahren. Bei sehr schlechtem Wetter auf einem Laufband
oder einem Heimtrainer im Haus. Er mochte seinen Beruf, hatte aber schon
mehrmals ernsthaft erwogen, ihn an den Nagel zu hängen. Er führte, fand er, ein
meist geregeltes Leben, dessen Qualität sich zumindest verdoppelt hatte, seit
er mit Lola verheiratet war. Als Kontrastprogramm leistete er sich einen über
fünfzehn Jahre alten orangefarbenen Porsche 911 E mit hinteren
Ausstellfenstern, in dem sie beide oft zu plärrender Jazz- oder
Rock-’n’-Roll-Musik spazieren fuhren.
    In den ersten Minuten hatte er jede Schreckensvision verdrängt.
Inzwischen aber bohrte ein spitzer, kreiselnder Bohrer immer heftiger in seinem
Hinterkopf. Er konnte es nicht mehr leugnen: Lola war nicht mal kurz zum
Einkaufen oder spazieren gegangen. Sie wollte ihn auch nicht necken oder ärgern
oder hatte sich vor ihm versteckt. Nein, Lola musste entführt worden sein! Es
gab keine andere Lösung. Er konnte sich ausmalen, was vor ihm lag.
Vornübergebeugt stand er da wie ein alter Mann, die Augen schreckgeweitet, und
sein Mund hing offen, als fiele ihm das Atmen schwer.
    Dann, wie eine Sternschnuppe vom Himmel fällt, ging ein Ruck durch
ihn und er griff nach seinem Handy. Als er das Telefonat beendet hatte, begann
sein Körper zu zerfallen. Er legte sich mit dem Rücken auf den Boden und
wartete. Seine Hände waren an die Seiten gepresst, das Hemd bis zum Nabel
geöffnet, die Augen geschlossen. Sein Herz trommelte, als wollte es
zerspringen. Er atmete rasselnd mit weit aufgerissenem Mund.
    Zwanzig Minuten später waren die ED ler
vom Rosenheimer K 3 vor Ort. Bruni und drei Mann im Tatortwagen mit
ziviler Rosenheimer Nummer. Darin war alles, was man zur Spurensicherung
braucht. Unter anderem der große Alukoffer mit Fotoapparaten, Instrumenten und
Chemikalien. Nummerntäfelchen, Absperr- und Messbänder, Behälter mit chemischen
Pulvern, Wattestäbchen und Reagenzgläser zur DNA -Abnahme.
    Ottakring wies auf die Gartenschere und überließ Bruni den silbernen
Ohrclip.
    »Sucht zuerst nach Fuß- und Reifenspuren«, sagte er. »Umgeknickte
Äste, abgerissene Zweige.« Seine Stimme klang bröselig und rau. »Und schaut
euch im Haus um.«
    Aus ihm sprach reine Verzweiflung. Als ob die routinierten ED ler das nicht selbst wüssten.
    Ottakring trat zwei Schritte zur Seite, neigte den Kopf zurück und
schloss die Augen. Der Schmerz reichte vom Bauch bis in die Kehle. Er empfand
Panik, als sei er zu dicht an einen Abgrund geraten. Er holte so heftig Luft,
dass Bruni besorgt zu ihm hinblickte.
    Erneut ging ein Ruck durch Ottakring. Er rannte hinüber zur
Nachbarin. Ihr Hund bellte. Ein kurzes, raues Gekläff.
    »Wollen Sie einen Tee?«, fragte sie und rieb sich an der Nase. Sie
hatte tizianrotes Haar mit hellen Stirnfransen.
    »Nein. Danke«, sagte er mit gesenkter Stimme. »Lola?«, fragte er nur.
»Meine Frau? Haben Sie sie gesehen?«
    Sie sah ihn an und verstand.
    »Keine Ahnung. Nichts bemerkt.«
    Rückwärtsgehend und den Blick auf sein Display gerichtet, entfernte
er sich. Lolas Handy war nicht eingeschaltet.
    Es konnte nicht sein. Konnte nicht sein. Lola war spazieren. War von
einer Freundin abgeholt worden. Von dieser Clara vielleicht?
    Er versuchte es im Sender. Ja, sie habe um dreizehn Uhr dreißig
einen Termin. Doch sie sei noch nicht da.
    Es war kurz nach halb eins.
    Um kurz nach eins war Ottakring im Sender am Münchener
Rundfunkplatz.
    »Ist Ihnen etwas aufgefallen in letzter Zeit? War meine Frau
irgendwie verändert? Hat sie sich anders als sonst verhalten? Kamen
ungewöhnliche Anrufe?«
    »Nein. Nein. Nein. Nein.«
    Er rief Claras Nummer an. Er hatte sie gespeichert, als ob er’s
vorher geahnt hätte. Keine Antwort, nicht einmal die Mailbox.
    Sehr schnell, praktisch unmittelbar,

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